Film-Kritik Der neunte Tag: Urlaub vom KZ

Einem Konzentrationslager während der NS-Zeit zu entkommen, war eigentlich nicht möglich. Ein Priester aus Luxemburg erlebte das Unglaubliche: Er bekam ganz offiziell neun Tage lang Urlaub vom KZ Dachau, wo er mit rund 3.000 europäischen Geistlichen inhaftiert war. Die 'Ferien' waren allerdings mit einer schweren Hypothek verbunden: Würde er nicht zurückkehren, würden seine Glaubensbrüder hingerichtet werden.

Der neunte Tag
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Foto: Progress

Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff hat die auf wahre Begebenheiten beruhende, in einem Tagebuch notierte Geschichte als Grundlage für seinen neuen Film "Der neunte Tag" genommen und eine Art Kammerspiel daraus gemacht. Die Produktion, die am 11. November in den Kinos startet, ist ein erschütterndes und aufwühlendes Dokument über die Nazi-Zeit und das Verhältnis der Kirche zu der Diktatur.

Effekthascherei ist nicht das Anliegen des durch Dialoge geprägten Dramas, vielmehr wird ruhig, intensiv und sachlich die Geschichte zweier Männer erzählt. Diese können eigentlich nicht gegensätzlicher sein - und ähneln sich in einem Punkt doch: in ihrem Glauben zu Gott. Ulrich Matthes als ausgemergelter Abbé Kremer und August Diehl als sein verführerischer nationalsozialistischer Gegenspieler liefern sich ein ausgeglichenes Duell.

Eindrucksvolle Judas-Debatte

Der Abbé muss sich, nachdem er dem KZ entkommen ist, jeden Tag bei dem von Diehl gespielten Gestapo-Mann Gebhardt melden. Der junge Mann hat das Ziel, den Geistlichen dazu zu gewinnen, die Luxemburger Kirche auf nationalsozialistischen Kurs zu bringen. Mit Worte fechten sie ihre Kämpfe. Wer am Ende gewinnt, bleibt offen, ständig wechseln die Vorteile. Auch der Nazi, der vor seiner Karriere ebenfalls das Priesteramt anstrebte, besitzt scheinbar gute, wenngleich eiskalte Argumente. Er wird nicht von vornherein als diabolischer Mörder dargestellt, sondern besitzt menschliche Züge.

Stark, wie der 28-jährige Diehl den berechnenden Gestapo-Mann spielt, der versucht den Älteren zu locken, ihn zu überraschen und zu überzeugen, ihn auf seine Seite zu ziehen. Der Abbé muss nicht nur über sein Schicksal entscheiden, sondern auch über das seiner Familie und seiner Freunde. Das eindrucksvolle Mienenspiel des 45-jährigen Matthes zeigt, wie groß die Versuchung ist, den vermeintlich einfachen Weg zu gehen und dem Wunsch des Nazis nachzukommen, um die eigene Haut zu retten. Und welch unglaubliche Kraft er aufwenden muss, dem zu widerstehen.

Am Ende muss Kremer seine Entscheidung allein treffen, und keiner hilft ihm dabei, weder Kirche noch Familie noch Staat. Das Individuum ist für sich allein verantwortlich, lautet die unaufdringlich vermittelte Botschaft. Schuld und Verantwortung sind Begriffe, die sehr dicht beieinander liegen können in Zeiten einer Terrorherrschaft.

Vor allem die Debatte über Judas ist eindrucksvoll: Ohne Judas hätte die Kreuzigung gar nicht stattgefunden, sagt Gebhardt. Judas sei ein Zahnrad in der ganzen Geschichte und kein Verräter. Ohne den Verrat gäbe es unter Umständen das Christentum gar nicht. Das sind Sätze, die den Abbé erschaudern lassen.

Die bedrückende Stimmung des Films wird durch düstere Bilder untermalt, die nicht nur durch die winterliche Landschaft so kalt wirken. Das Grauen im Konzentrationslager wird angedeutet. Gleich zu Beginn schlägt ein Aufseher einem Priester brutal eine Eisenstange über den Schädel, später werden an Kreuzen hängende Menschen gezeigt. Auf diese Weise werden Brutalität und Gnadenlosigkeit dargestellt. Morde oder Hinrichtungen sind nicht zu sehen

Weitere Rollen spielen unter anderen Hilmar Thate und Bibiana Beglau. Das Drehbuch schrieben Eberhard Görner und Andreas Pflüger.

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