Michal-Moore-Doku "Kapitalismus - Eine Liebesgeschichte" Der amerikanische Albträumer

(RP). Michael Moore hat wieder eine polemische Doku-Collage erstellt – diesmal gegen die Ausbeutung in seinem Heimatland. Leider erzählt "Kapitalismus – eine Liebesgeschichte" vorwiegend von Einzelschicksalen und kann das System so nicht ernsthaft kritisieren.

 Das "Land of the Free" liebt es gerne bunt.

Das "Land of the Free" liebt es gerne bunt.

Foto: Concorde

(RP). Michael Moore hat wieder eine polemische Doku-Collage erstellt — diesmal gegen die Ausbeutung in seinem Heimatland. Leider erzählt "Kapitalismus — eine Liebesgeschichte" vorwiegend von Einzelschicksalen und kann das System so nicht ernsthaft kritisieren.

Michael Moore ist ein Clown. In einer der besseren Szenen seiner neuesten Doku-Collage "Kapitalismus: eine Liebesgeschichte" fährt er mit einem Geldtransporter vor eine der amerikanischen Banken, die nur dank einer Milliardenspritze, aufgezogen mit Steuergeldern, überleben konnten, und fordert sein Geld zurück. Das ist plakativ, gewiss, aber auch komisch, weil da Satire auf Wirklichkeit stößt und einer zum öffentlichen Ärgernis wird, nur weil er tut, was viele am Stammtisch fordern. Geschickt verkehrt Moore da die Bilder, tritt auf wie ein dilettantischer Bankräuber, obwohl er doch nur argloser Bürger und Bürgschaftsspender ist. Solche Szenen kostet Moore aus, hält verblüfften Wachmännern Säcke für das Geld unter die Nase und teilt ihnen mit, dass er davon noch mehr im Auto habe. Moore ist gut, wenn er Clown ist.

Doch in den meisten Episoden seines Werkes meint er es leider ernst. Dann tropft er ölige Betroffenheit in den Off-Text und bringt Menschen vor seine Kamera, die nicht nur schlimme Schicksale erleiden mussten, sondern darüber auch öffentlich Tränen fließen lassen.

Einzelschicksale statt Systemkritik

So macht Moore seine Zuschauer etwa mit einer Familie bekannt, in der die Mutter früh gestorben ist. Das Unternehmen, bei dem die Frau gearbeitet hatte, schloss auf alle Mitarbeiter eine Lebensversicherung ab. Doch nicht etwa für die Familien, das Unternehmen kassiert selbst. Die Investition rechnet sich, weil statistisch unter vielen Mitarbeitern immer auch welche sind, die früh sterben — und hohe Versicherungssummen einbringen. Das ist makaber und zeigt, dass Wirtschaftsmathematik wenig mit Herz zu tun hat. Doch die Tränen der Familie gehören nun mal der verstorbenen Mutter, sie beweinen nicht das kapitalistische System.

In einer anderen Geschichte erzählt Moore von Jugendlichen, die wegen nichtiger Vergehen im Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt wurden. Das Jugendgefängnis am Ort war gerade privatisiert worden, und das entsprechende Unternehmen bestach den Richter. Auch das ist schlimm, aber es ist schlicht ein Verbrechen. Korrupte Justizbeamte sind kein Argument gegen den Kapitalismus.

Da hätte Moore seinen Zuschauern schon etwas mehr Nachdenken über Zusammenhänge zumuten müssen. Und er versucht das auch ansatzweise, wenn er Senatoren vor die Kamera bringt, die erzählen, mit welchem Tempo das amerikanische Wirtschaftsrettungspaket durch die demokratischen Genehmigungsinstanzen geschleust wurde, so schnell, dass keiner der Entscheider sich wirklich mit den Details befassen konnte. Da klopft Moore ans parlamentarische System und lauscht dem tönernen Echo.

Moore bleibt an der Oberfläche

Doch er forscht dann nicht weiter, geht den Mechanismen der Einflussnahme nicht nach. Das wäre wohl kompliziert geworden und hätte wenig weinende, lamentierende, schimpfende Bürger vor die Linse gespült. Lieber macht Moore also Jagd auf Identifikationspersonal und beobachtet arme rechtschaffende Bürger, wie sie ihre Häuser räumen müssen, weil sie sich Kredite aufschwatzen ließen, die sie nun nicht mehr bezahlen können. Oder er spekuliert darüber, ob die jüngsten Flugzeugabstürze über seinem Vaterland nicht damit zusammenhängen könnten, dass amerikanische Piloten so schlecht bezahlt werden, dass sie Zweitjobs annehmen müssen und entsprechend übermüdet in die Jumbos steigen.

Außerdem betätigt sich Moore wieder als der Krawallmacher, den manche an ihm schätzen. Wieder fährt er vor Konzernzentralen, verlangt die Chefs zu sprechen und lässt sich von überfordertem Wachpersonal die Kamera wegdrücken. Das ist pseudoskandalös und suggeriert, hier sei ein knallharter Investigativ-Journalist unterwegs, der den Mächtigen auf die Pelle rückt. Dabei wird da nur einer abgewiesen, dem nicht zu antworten die Mächtigen sich längst leisten können.

Moore ist kein Aufklärer

Ein Aufklärer ist Moore also nicht, und Kapitalismuskritik gehen Kollegen wie Ken Loach in fiktiven Geschichten wie "It's a Free World" viel grundlegender an. Doch eines muss man dem Doku-Episoden-Häcksler Moore lassen: Er hat ein Gespür für Pointen und langweilt sein Publikum nicht. Vielmehr setzt er es einem Rausch der Bilder, Zitate, Erlebnisse aus und liefert als Erzählonkel die Deutung gleich mit. Das hat mit dokumentarischem Film natürlich nichts zu tun, aber den Anspruch erhebt Moore auch gar nicht. Er ist der große Pamphlet-Filmer, ein Propagandist, der nicht schlau argumentieren, sondern wuchtig Recht haben will.

Manchmal hat er das auch, wenn er etwa eine Frau zeigt, die hilflos in den Stellenanzeigen blättert, und dazu eine Rede des früheren Präsidenten der USA, Georg W. Bush, hören lässt, der sagt, der Vorteil am Kapitalismus sei, dass er den Menschen die Freiheit schenke zu entscheiden, wo sie arbeiten wollen. Da geht ein höhnisches Lachen durchs Publikum. So unterhaltsam kann Kritik sein.

Bewertung: 2 von 5 Sternen

(RP)
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