Dokumentation Montessori erleben

Düsseldorf · Wie funktioniert Montessori-Pädagogik in der Praxis? Der französische Dokumentarfilmer Alexandre Mourot hat das beobachtet. Sein Film zeigt den Alltag in einem Kinderhaus und erzählt vom Zauber der Konzentration. Am Freitag hat sein Film im Düsseldorfer Kino Metropol Premiere. Das Filmteam ist zu Gast.

 Eine Szene aus dem Film „Das Prinzip Montessori“, aufgenommen in einem Kinderhaus im französischen Roubaix.

Eine Szene aus dem Film „Das Prinzip Montessori“, aufgenommen in einem Kinderhaus im französischen Roubaix.

Foto: Alexandre Mourot / mm Filmpresse

In diesem Raum voller Kinder herrscht geschäftige Ruhe: Ein Junge schnibbelt Papierstreifen, ein anderer gießt Wasser von einem Kännchen in ein anderes, ein Mädchen rollt einen Teppich zusammen, nebenan zeigt eine Vierjährige einer Dreijährigen, wie man mit einer Schere Blumenstängel kürzt. Die Kinder wirken konzentriert und höchst zufrieden, sie beobachten und helfen einander, sie sprechen leise, niemand stört, niemand tut nichts. Was ist das Geheimnis dieser anregenden Ruhe?

Folgt man den Gedanken der italienischen Pädagogin Maria Montessori, dann müssen Erzieher dem natürlichen Entdeckergeist von Kindern nur Raum geben. Dann werden schon Vorschulkinder in ihrem Tempo lernen und begreifen – und ihre Persönlichkeit entfalten. Wie das in der Praxis genau funktioniert, hat der französische Filmemacher Alexandre Mourot in einer Langzeitstudie mit der Kamera beobachtet. In Roubaix, einer Stadt in Nordfrankreich, hat er über drei Jahre in einem Kinderhaus gefilmt. Erst hat er sich wochenlang nur zu den Kindern gesetzt, dann eine Kamera umgehängt, sie schließlich auch bedient. Dass er sich durch diese langsame Eingewöhnung in die Welt der Kinder als Filmemacher weitgehend unsichtbar gemacht hat, sieht man den Aufnahmen an. Der Film ist eine stille Beobachtung, der Zuschauer kann sich ein eigenes Bild machen von den Abläufen im Kinderhaus. Die Einrichtung folgt in Ausstattung und Pädagogik ganz den Prinzipien der Maria Montessori, und es hat einen großen Zauber, die Kinder durch Mourots Kamera beim Entdecken der Welt und der eigenen Fähigkeiten zu erleben.

Da ist etwa der Knirps Géraud, der mit unglaublicher Ausdauer mit einem Schwämmchen Wasser aufsaugt, um es von einer Schüssel in die andere zu befördern. Genauso geht er manchmal im Zimmer des Kinderhauses umher, schaut zu, wie die anderen Möhren schälen, in Büchern blättern oder auf einem niedrigen Bügelbrett Tücher glätten. Und als er beim Länderpuzzel vorbeikommt, hilft er dort mit.

Es sind wohl die Behutsamkeit, mit der die Kinder ihren Aufgaben nachgehen, und die Freiheit, in der sie sich bewegen, die den Betrachter so berühren. In diesem Kindergarten scheint nichts mit Zwang zu geschehen und trotzdem ist nie Leerlauf. Dabei gibt es natürlich auch in einem Kinderhaus schwierige Momente. Etwa, als nach den Ferien Dreijährige neu in die Gruppe kommen und weinend von den Eltern Abschied nehmen. In dieser Gruppe werden sie nicht abgelenkt, sie müssen sich auch nicht zusammenreißen, sie werden getröstet und dürfen dann in einem Korbsesselchen am Fenster sitzen und den Eltern nachschauen, so lange sie wollen. Ein Mädchen weint eine lange Zeit, es bleibt ganz für sich, wird zu nichts gedrängt. Irgendwann ist die Abschiedstrauer überwunden und das Kind wendet sich all den aufregenden Tätigkeiten der anderen zu. Im Montessori-Kosmos heißen sie „Arbeit“, was nicht bedeutet, dass die Kinder besonders anstrengende Dinge machen müssten – aber was sie tun, erledigen sie mit emsigem Ernst.

„In Frankreich sind die Schriften Maria Montessoris bekannt, aber praktiziert wird ihre Pädagogik nur in privaten Einrichtungen“; erzählt Alexandre Mourot. Es ist also auch eine Frage des Geldes, ob ein Kind ein Kinderhaus besuchen kann; und so gibt es in der gefilmten Gruppe in Roubaix etwa kaum Migrantenkinder. „Aber genau darum, habe ich den Film gemacht“, sagt Mourot, „ich denke, dass die Idee, den Eigenantrieb von Kindern zu nutzen und ihre Bedürfnisse zu respektieren, viel häufiger angewendet werden müsste.“ Für Mourot ist die Pä­dagogik der Maria Montessori nicht nur ein Erziehungssystem, sondern viel weiter fassend ein „humanitäres Projekt“. „Montessori lehrt uns, darauf zu achten, wer der andere Mensch ist und was er braucht, daran fehlt es in unserer Gesellschaft nicht nur in Erziehungseinrichtungen“, findet der Filmemacher.

Seine Dokumentation ist keine kritische Reflexion zum Thema Reformpädagogik. Sie ist eine einfühlsame Beobachtung im Geiste Montessoris mit vielen Zitaten aus ihrem Werk, die noch heute nachdenklich machen.

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