Film-Kritik Capote: Ein ausgesaugtes Genie

Er wurde nicht besonders alt und sein erzählerisches Werk ist nicht allzu umfangreich. Dennoch schrieb Truman Capote Literaturgeschichte. Warum der homosexuelle Dichter vor allem mit dem Tatsachenbericht "Kaltblütig" bekannt wurde und weshalb Capote sich komplett der Wiedergabe dieser realen Geschichte widmete, welchen Preis er dafür zahlte, ist in der genialen Verfilmung mit "Oscar"-Anwärter Philip Seymour Hoffman zu sehen.

 Philip Seymour Hoffman spielt Truman Capote besser als Truman Capote. Szene aus dem Film "Capote".

Philip Seymour Hoffman spielt Truman Capote besser als Truman Capote. Szene aus dem Film "Capote".

Foto: AP, Sony Pictures Classics

Und nicht nur der fünf Oscar-Nominierungen wegen ist es ein außergewöhnlich gelungenes Spielfilmdebüt des Regisseurs Bennett Miller und des Drehbuchautors Dan Futterman, die beide völlig berechtigt für die begehrten Auszeichnungen der US-Filmakademie nominiert wurden. Ob sie sich gegen sehr starke Konkurrenz am 5. März in Los Angeles durchsetzen werden, ist ungewiss. So gut wie sicher aber ist schon der Triumph von Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman, der in der Rolle von Truman Capote eine faszinierende Leistung bietet, weil er diesen Mann nicht nur spielt, sondern sich diesen regelrecht einverleibt bis hin zur perfekten Stimmimitation.

Hoffmann zeigt ein egozentrisches, in New Yorker Intellektuellen- und Gesellschaftskreisen vergöttertes literarisches Genie, das sich von einem Aufsehen erregenden vierfachen Mord an einer Farmerfamilie im fernen Kansas zu seiner wichtigsten schriftstellerischen Aufgabe anregen lässt. Capote wusste damals noch nicht, welche Last er sich aufbürden würde. Ihn lockte die Herausforderung und die Aussicht, diese zu bestehen. Tatsächlich ist ihm das gelungen. Doch er musste geistig und emotional so viel in dieses Unternehmen investieren, dass er nach dem Erscheinen des Buches 1966 bis zu seinem Tod 1984 - einen Monat vor seinem 60. Geburtstag - nichts mehr schrieb, was auch nur annähernd die Klasse von "Kaltblütig" besaß.

Tragische Liebesgeschichte

Volle 13 Jahre hat Gerald Clarke an der Biografie von Truman Capote gesessen, die dem Drehbuch zur Vorlage diente. Von Clarke, der den Schriftsteller gut kannte, stammt eine Information, die nicht unwichtig ist für das Verständnis des angenehm ruhig, intelligent und unspektakulär inszenierten Films: "Wenn er gewusst hätte, wie lange es dauern würde, 'Kaltblütig' zu schreiben, und was es ihm abverlangen würde, dann hätte er nie in Kansas angehalten, gab Truman später zu Protokoll. Er wäre weitergefahren - 'wie eine Fledermaus aus der Hölle'."

Doch da er das bekanntlich nicht getan hat, entwickelt sich die Tragödie eines Autors, der für die Rettung seines Buches auf die Hinrichtung der Mörder hoffen muss, denen er menschlich im Laufe von Jahren ganz nahe gekommen ist - viel zu nahe. "Capote" ist auf beinah schockierende Weise auch eine Liebesgeschichte. Aber nicht die zwischen dem Schriftsteller und seinem Lebensgefährten Jack Dunphy oder seiner von Catherine Keener beeindruckend verkörperten Mitarbeiterin Nelle Harper Lee, die später selbst ein berühmtes Buch verfassen sollte.

Vielmehr war es die immer enger werdende Beziehung zu dem 1965 zusammen mit seinem Kumpanen hingerichteten Mörder Perry Smith. Diese Beziehung machte aus Capotes professioneller auch eine emotionale Obsession. Den biografischen Hintergrund dieser abgründigen Affinität des schwulen Literaten zu dem gut aussehenden, indianischstämmigen Killer hat niemand so gut wie Capote selbst offenbart: "Wir, Perry und ich, sind im gleichen Haus aufgewachsen, nur nahm er die Tür hinten raus, während ich durchs Hauptportal ging."

Was es damit näher auf sich hat, wird der Besuch eines der besten und eindringlichsten Filme zeigen, die in den letzten Jahren in den USA entstanden sind. "Capote" ist kein Kassenschlager, aber ein Kinohöhepunkt, der allemal das Zeug zum Klassiker hat. Dem an sich selbst gescheiterten amerikanischen Autorengenie wird damit ein Denkmal gesetzt, das gelungener und ergreifender hätte nicht werden können.

(ap)
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