"The Tree of Life" im Kino Brad Pitt als strenger Vater

Berlin (RPO). Ein erfolgreicher Manager sitzt versonnen in seinem gläsernen Büro im Hochhaus und tagträumt sich in seine Vorort-Kindheit in den 50er Jahren zurück. So lässt sich die obere Ebene des bildgewaltigen Familien- und Schöpfungsdramas "The Tree of Life" beschreiben, mit dem Terrence Malick, der ewige Geheimtipp des US-Kinos, seit 30 Jahren schwanger ging. Auf dem Filmfestival in Cannes bekam er für sein Epos in diesem Jahr die Goldene Palme verliehen.

Bereits 1979 hatte der jetzt 67-jährige Malick die Auszeichnung für sein Drama "Glut des Südens" eingeheimst. Der Regisseur gilt als der Poet des US-Kinos, dessen bisher insgesamt nur sechs Filme stets mit Spannung erwartet werden.

Dementsprechend prominent sind die Darsteller seines neuen Werks: Brad Pitt spielt mit scharfkantigem Haarschnitt einen strengen Vater von drei Kindern, Sean Penn gibt den gealterten ersten Sohn, der seit er denken kann an seinem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater herum laboriert.

Die Rückblende beginnt mit einem Telegramm mit der Nachricht vom Tod des zweiten Sohnes, der mit 19 Jahren, vielleicht im Koreakrieg, gefallen ist.

Das sechste Werk des Poeten des amerikanischen Kinos

Doch der wichtigste Darsteller ist die Natur, deren Treiben in einem minutenlangen, mit Klassik-Klängen von Bach über Smetana bis zu Mönchsgesängen unterlegten Bilderstakkato vorgeführt wird.

Kalt glitzert der Kosmos, Vulkane brodeln, Lava fließt, Blutbahnen pochen, Mikroben zucken, Hammerhaie schwimmen, und einmal stapft sogar ein computeranimierter Dinosaurier durchs Gelände.

Vom Urknall bis in den Wolkenkratzer wird im Schnelldurchlauf die Genesis nachempfunden. Die Natur mit ihrem darwinistischen Werden und Vergehen bildet einen tröstlichen Kontrast zur menschlichen Trauer.

Vor dem Hintergrund dieser bewegten Fototapete pantheistischer Gleichgültigkeit setzt sich in impressionistischen Erinnerungsfetzen das Familienleben zusammen. Es wird, vom Baby bis ins renitente Teenageralter, aus dem sich wandelnden Blickwinkel des ältesten Sohnes geschildert.

Die Mutter ist ein engelhaftes Wesen, das wie eine ältere Schwester oder Geliebte wirkt, was prompt zu heftig ödipalen Eifersüchteleien gegen Vater und Brüder führt. Ohnehin entwickelt sich der liebevolle Papa zum genervten und nervenden Vater und löst beim heranwachsenden Sohn Jack Mordgelüste aus.

Vater-Sohn-Konflikte eingebettet in die Schöpfungsgeschichte

Die Entzauberung des Vaters, der sich als Mensch voll unerfülltem Ehrgeiz entpuppt, die familiären Konflikte, die juvenilen Abenteuer - all das ist mit einem bemerkenswerten, unbestechlichen Gespür für Wahrhaftigkeit inszeniert.

Malick reaktivierte außerdem die "Visual Effects"-Legende Douglas Turnbull, der etwa Stanley Kubricks "Odyssee 2001" mit überwältigenden psychedelischen Panoramen versah.

Und während die dem Drama vorangestellte biblische Hiobsbotschaft als spiritueller Leitfaden dient, erfreut sich das Auge an der Naturmystik. Bald aber steht in dem mehr als zweistündigen Film die Frage im Raum: Geht's nicht eine Nummer kleiner?

Die Filmemacher blasen mit all ihrer Kunstfertigkeit diese doch ziemlich gewöhnliche Jugend und die nachvollziehbare Melancholie der erwachsenen Hauptfigur zum esoterischen Erweckungserlebnis auf, das vor banalem Kitsch nicht zurückschreckt.

Der Vater verkörpert in dieser Lesart das brutale "Natur"-Prinzip, die madonnenhafte Mutter die "Gnade". Und wer die raunende Off-Stimme noch hinnimmt, der kriegt spätestens bei dem mit geschmerztem Gesicht durch die Wüste der Erinnerung stolpernden Sean Penn die Krise. Der Sinn des Lebens ist in diesem Unsinn kaum zu finden.

("The Tree of Life", Familiendrama, USA 2011, Verleih: Concorde, 138 Minuten, FSK: 12, Regie: Terrence Malick, Darsteller: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Fiona Shaw, McCracken u.a.)

Kinostart: 16. Juni 2011

(DAPD/csr)
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