Französische Western-Fantasie Blueberry und der Fluch der Dämonen

Auf einen Höllentrip muss man sich schon einlassen, wenn man sich die französische Western-Fantasmagorie "Blueberry" anssieht. Statt des üblichen Cowboy-Ambientes erwartet den Zuschauer hier eher ein Therapieraum.

Wenn sich europäische Regisseure an die heilige Kuh des amerikanischen Western-Genres wagen, läuft es den Fans der Pferdeopern meist kalt den Rücken hinunter. Mal abgesehen davon, dass der Held ein melancholischer Cajun, also ein französisch-stämmiger Amerikaner ist, spielt das Ganze auch noch in einer psychedelischen Kiffer-Höhle.

Als Vorlage dienten zwei Episoden aus dem französischen Westerncomic "Sergeant Blueberry" - "Die vergessene Goldmine" und "Der Geist mit der goldenen Kugel" - vom französischen Kult-Comickünstler Jean Giraud. Inspiriert ist der Film aber von Girauds esoterischem Alter Ego Moebius und dessen rauschhaften Geschichten. Und da Regisseur Jan Kounen seit merkwürdigen Sessions mit Indios in Südamerika ein bekennender Anhänger des Schamanismus ist, darf man sich auf einen wilden Ritt gefasst machen.

Das sonnenverbrannt-trostlose Szenario erinnert ein wenig an ein anderes europäisches Western-Recycling - die Spaghetti-Western von Sergio Leone. Hauptdarsteller Vincent Cassel, in Frankreich ein Star und Sex-Symbol, ähnelt in seiner verwegenen Attraktivität sogar dem jungen Clint Eastwood, der einst durch Italo-Western groß wurde. Schlaksig, stoppelig, und mit stechend hellblauem Blick versucht Sheriff Blueberry die örtlichen Desperados in Zaum zu halten. Dass er selbst säuft, hurt und überdies als Indianerfreund gilt, erleichtert die Sache kaum.

Blueberry leidet an einem Trauma, seit er als junger Freier miterleben musste, wie seine Geliebte während eines Schusswechsels ums Leben kam. Er floh schwerverletzt in die Wüste und wurde von Indianern gesund gepflegt. Nach Jahren taucht seine Nemesis, der nihilistische Pistolero Wally, wieder im Städtchen Palomito auf. Zusammen mit dem Deutschen Prosit ist Wally auf der Suche nach einem legendären Indianerschatz.

Exorzistischer Trip ins tief Verdrängte

Am Ende konfrontieren sich die beiden Todfeinde Wally und Blueberry in einer indianischen Kultstätte und unternehmen mit Hilfe diverser Rauschmittel einen langen, exorzistischen Trip ins tief Verdrängte. Die Handlung ist wirr, die Besetzung extravagant: Juliette Lewis, die als Saloon-Diseuse und Blueberrys rettender Engel fehlbesetzt ist, tritt gemeinsam mit ihrem Vater Geoffrey, der auch im Film ihren Vater, einen geldgierigen Rancher, spielt, vor die Kamera. Michael Madsen als zwiegespaltener Wally wurde bereits in "Kill Bill 2" in die Wüste geschickt; außerdem ist Altstar Ernest Borgnine als Zweit-Sheriff im Rollstuhl zu sehen.

Surreale, trancehafte Landschaftsperspektiven symbolisieren den Übergang zwischen äußerer und geistiger Welt; die Kamera fliegt mit den Adlern, kriecht mit den Schlangen. Doch am bizarrsten ist der fast viertelstündige Psycho-Showdown: ungeniert greift Kounen, der bereits mit dem irren Krimireißer "Doberman" Aufsehen erregte, in die Trickkiste. Hypnotische Lichtwirbel, kriechendes und krabbelndes Getier, das sich zur ornamentalen Sechziger-Jahre-Tapete formiert, Ektoplasma, das durch Raum und Zeit wabert: Kounens "Mind-Fucking" ist irgendwo zwischen den Hippie-Visionen von Carlos Castañeda, bekokster Freud'scher Psychoanalyse und den kryptischen Schlussbildern von Kubricks "Odyssee 2001" angesiedelt.

Einiges erinnert an Matrix-Computerspielereien, und auf manche dieser assoziativen Bildstörungen starrt man wie auf eine Waschmaschine im Schleudergang. Immerhin hat Überzeugungstäter Jan Kounen vor Gaga-Momenten keine Angst und zieht sein schamanistisches Ding konsequent durch. Gerade dadurch wird dieser Western-Selbsterfahrung-Trip - trotz mancher zäher und konfuser Momente - sympathisch. Denn es wäre ein Leichtes gewesen, diesen Kult-Comic als x-te Indiana-Jones-Version zu banalisieren. So aber reiht sich dieser delirante Mainstream-Ausreißer in die Linie anderer Bizarrerien des französischen Gegenwartskinos wie etwa "Pakt der Wölfe" und "Die purpurnen Flüsse" ein: ein wildes Gewucher, dessen Hysterien Spaß machen.

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