"Gefühlt Mitte zwanzig" im Kino Morgen fühlt sich heute am besten an

Düsseldorf · In der klugen US-Komödie "Gefühlt Mitte zwanzig" spielen Ben Stiller und Naomi Watts ein Paar, das sich perfekt im Leben eingerichtet hat - und in die Krise gerät. Ein lustiger und zugleich tieftrauriger Film.

Ben Stiller im Kinofilm von Noah Baumbach "Gefühlt Mitte zwanzig"
Foto: dpa, sab

Es ist so schwierig, einen solchen Film zu drehen - einen lustigen Film, der zugleich tieftraurig ist, dabei ziemlich klug und doch voller Zuneigung. Noah Baumbach ist es gelungen, und in "Gefühlt Mitte zwanzig" geht es um ein Paar Mitte 40, das angekommen ist. Josh und Cornelia sehen toll aus, sie wohnen in Brooklyn. Er ist Dokumentarist und lehrt an der Uni, sie arbeitet in der Filmfirma ihres berühmten Vaters.

Sie leben in einer vollvernetzten Apple-Welt der edlen Oberflächen. In der gemeinsamen Wohnung wirkt alles geschmackvoll und neu, und dennoch sind die Räume leer. Es gibt kaum Spuren von Individualität, die Biographien lagern unsichtbar in der Cloud, und die Wirklichkeit wird vorsortiert von Twitter und Netflix.

Die Zeit scheint sich zu dehnen, die Euphorie des Aufbrechens ist verflogen, das Glück des Beginnens verschwunden. Das letzte Mal, dass diese beiden Menschen etwas zum ersten Mal gemacht haben, ist ewig her, das Leben nun bloß noch lange Weile. Josh arbeitet seit acht Jahren an einem Werk, und als er seinem Schwiegervater die sechseinhalb-Stunden-Rohfassung seiner Dokumentation vorgeführt hat, sagt der: "Sehr gut, aber sieben Stunden zu lang."

Josh und Cornelia wünschten sich einst ein Kind, aber sie schoben die Entscheidung auf, sie waren ja noch jung, und dann klappte es irgendwie nicht mehr. Seit ihre besten Freunde Eltern geworden sind und kaum mehr Zeit haben, fragen sie sich, ob ihr Leben wirklich das Leben ist, das sie führen möchten.

In der bittersten Szene wollen sie ihre Freunde überraschen und platzen in eine Party für Eltern und kleine Kinder, zu der sie nicht eingeladen waren. Sie stellen sich selbst in Frage, und auch Ironie und Sarkasmus bieten keinen Schutz mehr.

Er: "Ich mag unser Leben, wie es ist." Sie: "Ja, wir könnten morgen nach Paris fliegen, wenn wir wollten." Er: "Genau. So kurzfristig hätten wir zwar Schwierigkeiten, einen erschwinglichen Flug zu finden, aber: ja." Sie: "Ich weiß. Ich könnte auch nicht einfach so von der Arbeit weg." Er: "Wir sollten für die Reiseplanung vielleicht einen Monat einplanen." Sie: "Ein Monat zählt immer noch als spontan."

Baumbach ist selbst 45 Jahre alt, und in den USA wird er als neuer Woody Allen gefeiert. Vor zehn Jahren machte Baumbach aus der Scheidung seiner Eltern einen bewegenden Film, "Der Tintenfisch und der Wal" heißt er. Er drehte das Psychogramm "Greenberg" mit Ben Stiller, er gab der Tochter, die er mit der Schauspielerin Jennifer Jason Leigh hat, den Namen Rohmer - nach seinem Idol, dem französischen Regisseur Eric Rohmer. Und er drehte den Lebenskrisen-Film "Frances Ha", von dem vor allem jene schwarzweißen Szenen in Erinnerung bleiben, in denen Baumbachs neue Lebensgefährtin Greta Gerwig zu David Bowies "Modern Love" vor der Zukunft flieht. "Gefühlt Mitte zwanzig" ist sein Meisterstück.

Josh und Cornelia treffen schließlich auf ein Paar von Mitte zwanzig, beide sehr lässig, sehr cool: Jamie will auch Regisseur werden, Darby stellt Eiskrem her. Die Begegnung wirkt wie ein Jungbrunnen, und vor allem Josh versucht sich die scheinbare Arglosigkeit des jüngeren Gegenübers zu borgen. Als er die neuen Bekannten besucht und Jamies gewaltige Vinyl-Sammlung durchsieht, sagt er: "Das ist genau meine Plattensammlung. Nur dass meine CDs sind." Er meint, seinem jüngeren Ich gegenüberzustehen, einem besseren Ich. Er kauft sich einen Hut, wie Jamie ihn trägt, er beginnt Rad zu fahren - bis der Arzt es verbietet, wegen der Arthritis im Knie.

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Foto: Lucasfilm 2015

Ben Stiller und Naomi Watts sind Josh und Cornelia, und es ist wunderbar zu sehen, wie sie ihrer Zuneigung je nach Erkenntnisstand eine andere Tönung geben. Sie erinnern ein bisschen an Spencer Tracy und Katherine Hepburn, wie der Film mit seinen schnellen und bissigen Dialogen überhaupt etwas von einer Screwball-Komödie hat. Adam Driver und Amanda Seyfried spielen Jamie und Darbie, sie schweben mit halb geschlossenen Augen durch den Film, und Adam Driver ist seit der Serie "Girls" die faszinierendste Nervensäge Hollywoods. Allein die Berechnung, mit der er Joshs Schwiegervater begegnet, von dem er sich Förderung erhofft: Mit einer Pirouette erhebt er sich vom Stuhl, legt die Handflächen aneinander wie der Dalai Lama und verbeugt sich.

Als das ältere Paar merkt, wie lächerlich es beim Jungsein aussieht, wird aus der Komödie ein Liebesfilm. Je älter man wird, desto besser war man früher, das ist der Selbstbetrug des Alters. Josh und Cornelia werden sich gemeinsam ihrer selbst bewusst, sie zerstören das Bildnis des Dorian Gray und freunden sich mit ihrem Spiegelbild an. Im Grunde ist das ein Essay über existenzielle Verunsicherung und wie man ihrer Herr wird. Aus Lifestyle wird Leben, aus Wollen wird Sein. Noah Baumbach ist Soziologe und Philosoph, und weil er die Menschen mag und seine Figuren sowieso, weist er ihnen den Weg in die Gelassenheit: Morgen fühlt sich heute am schönsten an, und gestern ist egal.

"Gefühlt Mitte zwanzig" ist ein großer und wahrhaftiger Film über unsere Gegenwart.

(RP)
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