Alle Kinokritiken-Artikel vom 05. Juli 2004
Fighting Temptations: Cuba und die Musik

Kinostreifen zwischen Hip Hop und KirchenmusikFighting Temptations: Cuba und die Musik

Eine Testaments-Verlesung kann etwas Schönes sein, wenn viel Geld dabei herausspringt. Allerdings sind daran manchmal verwunderliche Bedingungen geknüpft, so geht es auch dem gerade entlassenen New Yorker Werbetexter Darrin Hill (Cuba Godding Jr.) im Musik-Film "Fighting Temptations".Der letzte Wille seiner Tante haut ihn um. Die Erbschaft von geschätzten 150 000 Dollar erhält er nämlich nur, wenn er in dem Kaff einen konkurrenzfähigen Kirchenchor aufbaut und mit diesem erfolgreich an einem Gospelwettbewerb teilnimmt. Missmutig macht sich Darrin ans Werk und sucht in dem Ort seine Sänger zusammen. Schon sehr bald wachsen ihm dabei die kauzigen Dorfbewohner ans Herz. Besonders die attraktive Frontsängerin Lilly (Beyoncé Knowles) hat es ihm angetan. Flotte Sprüche und Musik, das ist das Erfolgsrezept von "Fighting Temptations". Wie es die Handlung und der an der Produktion beteiligte TV-Sender MTV versprechen, spielen sakrale Gospelklänge und moderner HipHop die Hauptrolle. Neben Newcomerin Beyoncé Knowles als sanftstimmiger Lilly sind viele weitere R&B-, Soul- und Gospelstars zu sehen und natürlich auch zu hören. Darunter Faith Evans, T-Bone, Angie Stone und die berühmte singende Pastorin Shirley Caesar. Unter all diesen Gesangstalenten hat Hauptdarsteller Cuba Gooding Jr. für die Zusammenstellung seines Kirchenchors die Qual der Wahl. Mit breitem Dauergrinsen castet er seine Sänger, die sich aus Alkoholikern, Sträflingen und Atheisten zusammensetzen. Für den guten Zweck und ein versprochenes Preisgeld ist in einem modernen Gotteshaus eben jedes Schäflein willkommen. Bei der Ausübung seiner Rolle hatte Oscar-Preisträger Cuba Gooding Jr. sichtbar Spaß. So locker und entspannt haben wir ihn seit seinem prämierten Part in "Jerry Maguire" (1996) nicht mehr erlebt. Wenn er nicht gerade mit unzähligen Flunkerein für Lacher sorgt, lässt er sich beim Dirigieren seines Chores zu so manchem Salto hinreißen. In weiteren Rollen gibt es zudem ein freudiges Wiedersehen mit ehemaligen Sitcom-Größen. Etwa mit Rue McClanahan, die dereinst als kesse Blanche Deveraux mit den "Golden Girls" berühmt wurde. Oder mit Mickey Jones, dem rotbärtigen Bauarbeiter aus "Hör' mal wer da hämmert", der in seinem zweiten Leben als Musiker schon mit Kenny Rogers und Bob Dylan auf der Bühne stand. "Fighting Temptations" ist eine launige Präsentationsplattform für den Gospelgesang. Wer ein Faible für diesen Musikstil hat, ist hier goldrichtig aufgehoben und wird mit einer flotten, gut zweistündigen Komödie belohnt.

Spider Man 2: Superheld gegen Fiesling Doc Oc
Spider Man 2: Superheld gegen Fiesling Doc Oc

Sam Raimis Fortsetzung des SpinnenmannesSpider Man 2: Superheld gegen Fiesling Doc Oc

Eine der besten Comic-Verfilmungen aller Zeiten wurde dem Regisseur Sam Raimi bescheinigt, als er sich vor zwei Jahren an "Spider-Man" heranwagte. Die Belohnung: 820 Millionen wurden weltweit an den Kinokassen eingespielt. Klar, dass einer Fortsetzung der Abenteuer des netten und schüchternen Superhelden nichts im Wege stand.Mit dem linkischen Tobey Maguire in der Titelrolle des mit zwei Identitäten ausgestatteten Helden stand einer im Mittelpunkt, mit dem sich Millionen identifizieren, dessen fantastische Fähigkeiten aber auch Millionen faszinieren konnten. Die Qualitäten des ersten Kinoauftritts des Spinnenmanns zeichnen nun auch "Spider-Man 2" aus, der ab dem 8. Juli für Furore in den deutschen Kinos sorgen wird. Wiederum führt Sam Raimi Regie. Abermals verkörpert Tobey Maguire jenen Peter Parker, der nachts in den Straßen von Manhattan mit seinen ganz speziellen übermenschlichen Fähigkeiten gegen das Böse kämpft. Dieses begegnet "Spider-Man" diesmal in der Gestalt des genialen Wissenschaftlers Dr. Otto Octavius, der nach einem missglückten Experiment zum Verbrecher mit vier metallenen Tentakeln wird. Diese geraten selbst dem Spinnenmann zur Gefahr. Abermals werden den Zuschauern verblüffende Action- und Trickszenen geboten, die zusammen mit den Toneffekten den Platz im Parkett zu einer Achterbahnfahrt der Sinne machen. Aber nicht darin liegt die besondere Qualität des Films begründet. Raimi hat vielmehr wiederum Figuren auf die Leinwand gebracht, die mehr sind als nur schlichte Funktionsträger in einem Spektakel sensationeller Effekte. "Spider-Man" ist eben auch und eigentlich vor allem dieser nette Peter Parker, der so beharrlich wie unglücklich in die hübsche Mary Jane Watson verliebt ist. Die ein wenig herbe Kirsten Dunst ist, wie bereits im ersten Teil, in dieser Rolle sehr überzeugend. Hauptdarsteller Maguire konnte Gage vervierfachenRaimi legte viel Wert darauf, seine beiden Sympathieträger Peter Parker und Mary Jane liebevoll in Szene zu setzen. Maguire nimmt man den lieben Kerl aus der Nachbarschaft glatt ab. Dessen Verwandlung in den Superhelden bleibt immer etwas unbegreiflich, was allerdings den speziellen Reiz der Geschichte ausmacht. Wer das nicht akzeptieren mag, wird auch am zweiten Film um "Spider-Man" nur begrenzt Freude finden. Das betrifft auch den Gegenspieler Peter Parkers, der als "Doc Ock" für Gefahr sorgt. Alfred Molina, ein sehr wandlungsfähiger britischer Schauspieler, mimt diesen tragischen Superschurken, dessen Tentakel je nach Betrachtung lächerlich oder Furcht erregend wirken. Da Peter Parker auch noch eine andere Konfrontation zu bewältigen hat, nämlich die mit seinem befreundeten Feind Harry Osborn, ist für Spannung gesorgt. Fürs Gefühl sind Mary Jane und die herzensgute Tante May zuständig, aber gewiss auch das unschuldige Durchschnittsgesicht von Tobey Maguire, der 17 Millionen Dollar für diese Rolle kassiert und damit mehr als das Vierfache seines ersten Einsatzes als "Spider-Man". Doch das intensive, glaubwürdige und sympathische Spiel des jungen Mannes, der 1997 mit seinem großartigen Auftritt in Ang Lees Drama "Der Eissturm" auf sich aufmerksam machte, ist der Schlüssel zum Welterfolg der Filme um die Comic-Figur. Maguire ist seine Gage, "Spider-Man 2" das Eintrittsgeld wert.

Muxmäuschenstill: Herr Mux räumt auf

Deutsche GesellschaftgroteskeMuxmäuschenstill: Herr Mux räumt auf

"Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen", diesen Ausspruch des ehemaligen Bundespräsidenten Herzog nimmt der junge Herr Mux wörtlich. Dabei verlässt er sich in der Gesellschaft-Groteske "Muxmäuschenstill" des Regisseurs Markus Mittermeier jedoch weder auf Politik noch Justiz, sondern nimmt die Dinge selbst in die Hand...Ist der junge Herr Mux nun deshalb ein Don Quichotte, ein Durchgeknallter oder gar ein Faschist? Der deutsche Streifen "Muxmäuschenstill", der am 8. Juli endlich in die Kinos kommt, hält nur verwirrende Antworten auf diese Frage bereit. Und gerade das ist eine ihrer Stärken. Denn im Mittelpunkt des mit nur 40.000 Euro gedrehten Films von Regisseur Markus Mittermeier und Drehbuchautor Jan Henrik Stahlberg, der auch die Titelrolle spielt, steht eine höchst widersprüchliche Figur. Dieser junge Herr Mux passt nämlich so sehr in unsere Zeit, wie er zugleich auch völlig aus dieser herausfällt. Mit vier Preisen war der ungewöhnliche Film um einen seltsamen Weltverbesserer Anfang des Jahres der große Gewinner beim Saarbrücker Max-Ophüls-Filmfest und wenig später absoluter Publikumsliebling in einer Nebenreihe der Berlinale. Mit "Muxmäuschenstill" haben zwei bislang kaum bekannte Filmemacher den Nerv einer Zeit und Gesellschaft getroffen, deren moralische Orientierungslosigkeit ziemlich offensichtlich ist. "Wir wollen einen Zustand thematisieren, nicht moralisch lösen. Der Film ist eher Wegweiser als Zielbeschreibung", hat Regisseur Mittermeier seine und Stahlbergs Intentionen erklärt. Originelles Porträt der deutschen LähmungEs war eine genialische Idee der beiden, die Verhältnisse kenntlich zu machen durch die Aktionen eines Psychopathen, der Schwarzfahrer ebenso jagt wie Kinderschänder, Graffiti-Sprayer so wenig toleriert wie bei Rot über die Ampel strebende Rollstuhlfahrer. Der junge Herr Mux ist ein Besessener, der nicht gegen Windflügel, wohl aber den Zeitgeist, der zu viel Ungeist enthält, kämpft. Sein Sancho Pansa ist der sanft-doofe Langzeitarbeitslose Gerd, den Mux angeworben hat als willigen Assistenten für seinen Feldzug. Fritz Roth spielt diesen Gerd geradezu anrührend als melancholischen Verlierer, der wie ein treuer Dackel Mux folgt. Star des Films ist aber zweifellos Jan Henrik Stahlberg. Hellwach, umtriebig, wortgewandt, mit durchaus gepflegtem Äußeren verkörpert der Schauspieler einen ganz ungewöhnlichen, ganz neuen Typ von Rebellen. In ihm könnte sich eine Generation wiederfinden, die noch vor einigen Jahren grandiose Perspektiven zu haben glaubte, nun aber mit Realitäten konfrontiert ist, die ihren weiteren Lebensweg völlig ungewiss erscheinen lassen. Der junge Herr Mux weiß schon, was er nicht mehr ertragen kann und will. Danach handelt er. Eine vernünftige, konsensfähige Alternative zum gesellschaftlichen Niedergang vermag er allerdings auch nicht formulieren. Mittermeier und Stahlberg porträtieren die deutsche Lähmung sehr originell, scharf und unterhaltsam. Ihr verschrobener Held Mux kämpft mit mehr als fragwürdigen Mitteln dagegen an. Natürlich muss er scheitern. Aber er hat versucht, sich nicht mit der Misere eines Landes abzufinden, das sein inneres Gleichgewicht verloren zu haben scheint. Das macht Muxs zu einer eminent politischen Figur. Und das macht den mit primitivsten Mitteln gedrehten Film brisanter, wichtiger als alle anderen deutschen Produktionen 2004. Filme wie "Muxmäuschenstill" pflegen nicht selten gesellschaftliche Erschütterungen und Rebellionen anzukündigen.

Godsend: Robert de Niro und das Horror-Kid

Hollywood-Thriller um geklonten SohnGodsend: Robert de Niro und das Horror-Kid

Kinder sollten süß dreinschauen oder zumindest fröhlich toben. Tun sie das nicht, ist das nicht nur für geübte Zuschauer schon ein Alarmsignal. Wenn in Hollywoodfilmen Kinder mit intelligentem Blick anderen ins Gesichtern starren, ist auf jeden Fall Vorsicht angebacht - so wie im Thriller "Godsend". Der unheimliche Nachwuchs ist diesmal ein achtjähriger Junge, der bei einem Autounfall stirbt und als Klon erneut zur Welt kommt. Seine Eltern Paul und Jessie haben sich vom legendären Genforscher Richard Wells zu dem illegalen Klon-Experiment mit der DNA ihres toten Kindes überreden lassen. Nach erfolgreicher Operation ziehen sie weg von New York und in die Nähe des Klinikgeländes "Godsend", um in der verschwiegenen ländlichen Idylle ihren Sohn Adam 2 großzuziehen. Adam Zwo scheint eine exakte Kopie seines Vorgängers zu sein - doch nach seinem achten Geburtstag wandelt sich der Kleine zum ostentativ unniedlichen Rabenaas mit jenem starren, Unheil verheißenden Blick aus puppigen Glasaugen, den nicht nur die Fans des Horrorkinos allzu gut kennen. Verraten sei noch, dass Adam schlecht träumt, komische Bilder malt und Tote sieht, die weder aus seiner noch aus der Erinnerung von Adam eins stammen können. Und den restlichen Spuk kann man sich bald denken: Dieser anfangs eher viel versprechende Psychokrimi über ein menschliches "Schaf Dolly", entwickelt sich zum langweiligsten Horrorfilm der Saison, der das politisch relevante Klon-Thema als billiges dramaturgisches Mittel missbraucht. Dabei weckte der Brite Nick Hamm seit seinem kleinen, feinen Psychothriller "Hole" große Erwartungen. Doch hier findet sich keinerlei psychologische Glaubwürdigkeit. Einmal etwa entdeckt Adam Fotos seines toten Vorgängers - doch was eine tiefgründige Identitätskrise hätte auslösen müssen, mündet in altbackenes Angstmachen. Wie die Axt im Walde - auch sie spielt eine Rolle - verhackstückt Hamm Reminiszenzen vom "Dorf der Verdammten" über "Omen", "Shining", "Rosemary's Baby", "Sixth Sense" und so weiter. Von der Zellteilung im Vorspann bis zum Poltergeist im Schrank am Ende ist das Zusammengeklaubte so aufregend wie die Lektüre des Telefonbuchs. Ob Adam nicht nur geklont, sondern besessen ist, und wenn ja, von wem, das interessiert nicht wirklich. Offenbar auf Fortsetzung angelegtImmerhin: Jedes Mal, wenn der Zuschauer einzuschlafen droht, zuckt eine blutige Hand hervor, lenkt dräuende Musik den Blick auf Messer oder sonstige potenzielle Todeswerkzeuge. Die vage esoterische Story eiert von Reflex zu Reflex, doch jede Überraschung ist aus einem anderen Film recycelt. Angeblich hat der Regisseur gleich sieben Enden mit verschiedenen Mordszenarien gedreht. Da im tatsächlichen Unhappy-End keiner der Hauptprotagonisten gemeuchelt wird, scheint das müde Spektakel aber als Fortsetzung angelegt zu sein. Fraglich jedoch, ob sich die Darsteller einen weiteren schlechten Film in ihrer Karriere leisten können: Denn das Seltsamste an "Godsend" ist sein prominentes Ensemble. Ist der kleine Cameron Bright als Adam noch eine Karikatur eines dämonischen Filmkindes, so mühen sich Oscar-Gewinner Greg Kinnear ("Besser geht's nicht", "Nurse Betty") und Ex-Model Rebecca Romijn-Stamos ("The Punisher", "X-Men 2") als besorgte Eltern sichtlich, dem absurden Geschehen einen Anstrich von Wahrhaftigkeit zu verleihen. Am meisten deprimiert aber Robert de Niro, der erneut kein gutes Händchen für Rollen hat: Als schlafwandlerischer "mad scientist" markiert er seinen modernen Dr. Frankenstein derart lustlos, dass er wie ein lethargischer Klon seiner selbst umherschleicht.