Kalte Schnauze

Wes Andersons "Isle of Dogs" erzählt von verstoßenen Hunden auf einer Müllinsel - und beschwört die Macht der Außenseiter.

Sie tragen Namen wie Rex, Boss, Duke und Chief. Und natürlich waren sie Alpha-Tiere ehe die Sache mit der Seuche passierte. Eines Tages wird das Fell der Hunde struppig, ihre Augen tränen, ihre Nasen zucken, ständig müssen sie niesen - was für stolze Rassetiere ohnehin schon eine Demütigung ist. Für den Bürgermeister der fiktiven japanischen Stadt Megasaki ist das Geschniefe dagegen willkommener Anlass, gleich alle Hunde der Stadt loszuwerden. Der Mann liebt Katzen und hat seine Herrschaft so ausgebaut, dass er erlassen kann, was er will. So beginnt ein radikales Umsiedlungsprojekt: Die Hunde werden auf eine abgelegene Müllinsel verbannt. Dort müssen sie sich um Essensreste kloppen wie räudige Straßenköter. Kein Spezialfutter mehr, keine Fellpflege, keine kraulende Menschenhand. Plötzlich zählen nur noch die alten Überlebensinstinkte, dabei hatten sich die Tiere so an die Zivilisation gewöhnt.

Eine bizarre, abenteuerliche Geschichte erzählt Wes Anderson in seinem neuem Animationsfilm "Isle of Dogs". Es geht um die Manipulierbarkeit des Menschen, um die Beständigkeit von Freundschaft und um einen kleinen Jungen, der sich seinen Hund nicht so einfach nehmen lassen will. Atari Kobayashi ist zwar erst zwölf und der Ziehsohn des Katzen versessenen Bürgermeisters, doch er klaut ein Flugzeug und macht sich ganz allein auf zur Insel, um seinen vierbeinigen Gefährten wiederzufinden. Die Landung klappt nicht gut, darum läuft Atari mit einer Stahlstange im Kopf durch den Rest des Abenteuers und muss noch andere körperliche Blessuren hinnehmen. Aber er ist stark, weil er weiß, was Einsamkeit ist. Und weil er weiß, was ihm hilft, die Einsamkeit zu überwinden: sein Hund.

Die Ohnmächtigen, Ausgestoßenen, Sonderlinge sind bei Wes Anderson stets die wahren Helden. Und oft lässt er sie gewagte Reisen unternehmen, zu neuen Ufern aufbrechen, den Verhältnissen, die sie quälten entfliehen, damit sie bei sich ankommen können. In der Freiheit also. Diesmal ist es nicht nur der kleine Pilot, der mutig zu seiner Mission aufbricht, auch die Hunde auf der Insel müssen sich auf den Weg machen, Gefahren bestehen, um ihr Schicksal zu wenden.

Mit viel Witz, Präzision und Menschenkenntnis haben Anderson und sein Team Hundecharaktere geschaffen, die mit den Eigenarten gewisser Rassen, zugleich aber auch mit menschlichen Charaktertypen spielen. Obwohl den Tieren Schreckliches widerfährt und das barbarische Leben auf der Müllhalde drastisch in Szene gesetzt wird, ist es höchst vergnüglich, Rex, Duke und die anderen Köter in ihren unterschiedlichen Wesenszügen zu beobachten.

Zugleich erzählt Anderson in "Isle of Dogs" von den Mechanismen der Demagogie. Die in der nahen Zukunft angesiedelte Geschichte skizziert einfach und klar wie japanische Holzschnitte, wie eine Gesellschaft der Macht eines Tyrannen verfällt. Wie Repression von oben in einer Gemeinschaft weitergegeben wird, wie aus Feigheit Gemeinheit wird - bis der Mensch am Ende seinen besten Freund eilfertig verrät. Wieder einmal sind es am Ende die Kinder, die mit unbestechlichem Scharfblick die Verhältnisse durchschauen. Und die sich zur Rettung der Hunde formieren. Technisch hat sich Anderson für das aufwendigste Verfahren entschieden, das das Kino im digitalen Zeitalter noch zu bieten hat: für das Stop-Motion-Verfahren. Der gesamte Film wurde von Hand modelliert. 70 Puppenspieler und 38 Animatoren für die Hintergründe haben rund zwei Jahre damit zugebracht, die etwa 130.000 Einzelbilder dieses analogen Animationsfilms zu schaffen. Dass es dabei manchmal ein wenig ruckelt, ist gewollt. Andersons Film ist technisch perfekt und bewusst naiv zugleich. Virtuos lässt der Regisseur etwa durch Kapitel japanischer Kultur spulen - von Trommelkunst oder Kampfsport bis zum Anrichten von Sushi scheint alles rasend schnell auf. Andererseits darf sich das Fell der verstoßenen Hunde scherenschnittartig im Wind bewegen wie in sehr alten Zeichentrickfilmen oder ein Hintergrund hinter den Figuren vorbeigezogen werden wie im altmodischen Puppentheater. So fließen die Zeiten ineinander, stellt sich Anderson in eine Erzähltradition.

Schon in seiner Roald Dahl Verfilmung "Der fantastische Mr. Fox" hatte sich der Amerikaner für die Puppentechnik entschieden. Auch damals entstand die eigentümliche Mischung aus Hyperrealismus und Künstlichkeit, die großen Sog entfaltet. Auch den Hunden auf der Müllinsel und ihren Kindergefährten möchte man immer weiter zusehen, wie sie sich bewegen, ihre Abenteuer durchleben, das Vertrauen ins Vertrauen zurückgewinnen.

Wes Anderson erzählt mit seinen scheinbar naiven Tierpuppen eine traurige Fabel. Sie handelt von einer Gesellschaft, in der Menschen ihre Freunde behandeln wie Ware und entsorgen wie Müll. Zum Glück sind Hunde klüger.

(dok)
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