Kinostart von "Jackie" Allein im Weißen Haus

Düsseldorf · Natalie Portman spielt in dem Drama "Jackie" die berühmteste Witwe der Welt. Im Mittelpunkt steht das Attentat auf John F. Kennedy.

 Natalie Portman spielt die verzweifelte First Lady.

Natalie Portman spielt die verzweifelte First Lady.

Foto: ap

Das muss man direkt sagen: In "Jackie" geht es nicht glamourös zu. Der Film interessiert sich weniger für das Chanel-Kostüm, das Jacqueline Kennedy am 22. November 1963 trug, sondern viel mehr für die Blutflecken darauf. Die zentrale Szene dieser Produktion ist denn auch die Fahrt im rasenden Cabrio durch Dallas: die gedehnte Stille nach dem Schuss, die endlosen Minuten bis zum Eintreffen im Krankenhaus.

Der Kopf des toten Präsidenten liegt auf Jackies Schoß, und sie klaubt Gehirn vom Sitzpolster und stopft es zurück in den offenen Schädel. Dann legt sie ihre Hand auf die Wunde und weint.

Der 40 Jahre alte Chilene Pablo Larrain nähert sich in seinem Film einem amerikanischen Mythos, und es gelingt ihm Erstaunliches: Man meint diese Frau am Ende tatsächlich besser zu verstehen, man glaubt den Menschen hinter der historischen Figur zu erahnen, hinter Mode-Ikone und Stil-Vorbild. Larrain beschäftigt sich mit einem kleinen Ausschnitt im Leben der 1994 gestorbenen Frau. Er erzählt von der kurzen Zeit als Ehefrau von John F. Kennedy im Weißen Haus und von der Woche nach der Ermordung. Die Hochzeit mit dem griechischen Reeder Aristoteles Onassis im Jahr 1968, die damals viele irritiert hat, beachtet er nicht. Auch die auf Onassis' Tod 1975 folgenden Jahre als millionenschwere Lektorin in New York sind kein Thema.

Ein Gespräch mit dem "Life"-Redakteur Theodore H. White bildet den Rahmen des Films. Jackie Kennedy empfängt den Journalisten wenige Tage nach der Beerdigung ihres Mannes in Hyannis Port, dem Landsitz der Kennedys in Massachusetts. Natalie Portman spielt die Titelfigur, sie tritt dem Zuschauer ausgezehrt entgegen, eine versehrte Seele in einem geschundenen Körper. Von der Terrasse des Anwesens aus nähert sich der Film in Rückblenden jenem historischen Tag in Texas.

Jackie Kennedy war bis dato die drittjüngste First Lady, sie bezauberte die Welt und war so berühmt wie Liz Taylor und Marilyn Monroe. Andy Warhol machte 300 Fotos von ihr, viele Frauen kauften ihre Kleider und Hüte nach und wollten so aussehen wie sie. In einer legendären TV-Sendung führte sie am 14. Februar 1962 rund 50 Millionen Zuschauer durch das Weiße Haus und präsentierte die Umbauten, die sie vorgenommen hatte. Sie wollte, dass das Haus seinen Besuchern Geschichte ins Gedächtnis rief, und so schaffte sie Gegenstände früherer Bewohner herbei und arrangierte sie ins Interieur. Für diesen Auftritt bekam Kennedy den Emmy.

Larrain hat die Sendung mit Portman in grobkörnigem Schwarzweiß im 16-Millimeter-Format nachgedreht, und er schneidet diese Aufnahmen immer wieder in seinen Film. Kennedy wirkt darin verunsichert, eine Frau von Anfang 30, die durch Nebel schreitet und nicht weiß, wohin sie tritt. Sie ist ein Gespenst. "Ich war First Lady. Viele Frauen erdulden größeres Leid für sehr viel weniger", sagt sie später.

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Die zweite Hauptrolle spielt der Soundtrack von Mica Levi. Das ist bewusst aufdringliche Musik, und nach 20 Minuten fühlt es sich an, als drücke sie einem gegen die Brust. Levi wiederholt die immergleichen Streicher-Akkorde, sie variiert die Lautstärke und erzeugt ein Gefühl von Schwindel und Eingeschlossensein. Zerebraler Stress. So wird "Jackie" zu einem verstörenden, anstrengenden, aber sinnlichen und erhellenden Erlebnis.

Noch auf dem Rückflug von Dallas wird Lyndon B. Johnson als Präsident vereidigt: "Die Fakten des Kalten Krieges erlauben keine Auszeit." Von da an ist Jackie unbehaust, der Grund für ihre herausgehobene Stellung ist fort, und man behandelt sie anders als 24 Stunden zuvor. Der neue Präsident schaut auf sie wie auf ein Schulmädchen, die Schwiegermutter spricht zu ihr wie zu einer Debütantin, und für die Hofschranzen, die die Einhaltung des Protokolls beaufsichtigen, ist sie eine Störung im Betriebsablauf.

Nun muss man wissen, dass sich Jackie Kennedy am Tag der Ermordung ihres Mannes zum ersten Mal seit Monaten in die Öffentlichkeit gewagt hat. Sie hatte im August zuvor ein Kind zur Welt gebracht, das nur zwei Tage überlebte, danach zog sie sich zurück. Sie war angeschlagen, die Ehe litt unter Untreue-Gerüchten, im Interview drückt sie es so aus: "John ist oft in die Wüste aufgebrochen, um sich dort vom Teufel in Versuchung führen zu lassen. Er ist stets zurückgekehrt."

Den Trancezustand, in dem sich die traumatisierte Jackie Kennedy in den letzten Tagen im Weißen Haus befunden haben muss, fängt der Film grandios ein. Larrain inszeniert streng, geradezu kalt. Seine Schauspieler posieren wie Statuen zwischen scharfkantigen Möbeln. Die Kamera kommt ihnen extrem nahe, es gibt fast ausschließlich Close-ups, und Portman bewegt sich wie ein Geist über die dicken Teppiche. Dabei ist sie durchaus keine reine Figur; diese Jackie Kennedy ist nicht eindeutig.

Etwas in ihr scheint die Aufmerksamkeit zu genießen, sie macht aus der Beisetzung eine Sensation, indem sie verschleiert hinter dem Sarg geht anstatt im Auto zu fahren. "Das habe ich für mich getan", sagt sie. Die Gefangene der Mythisierungen schafft selbst neue Mythen. Und Larrain schaut genau auf jene Stellen in diesem Panzer aus Zuschreibungen, durch die Licht bricht. Auf dass man dort Menschliches erblicke.

"Jackie" ist im Grunde ein Gruselfilm aus den psychologischen Untiefen. Nach dem Abspann erinnert man sich an ein Zitat von Jackie O. Als man sie fragte, wieso sie fünf Jahre nach dem Attentat erneut geheiratet habe, und dann auch noch den fast 25 Jahre älteren Onassis, antwortete sie: "Ich konnte nicht länger als Kennedy-Witwe leben. Es war der Ausbruch aus der beklemmenden Besessenheit, mit der die Amerikaner mich und meine Kinder in Anspruch nahmen."

Jackie, Chile, USA, 2016 - Regie: Pablo Larrain mit Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, John Hurt, 100 Min.

(hols)
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