Jetzt im Kino In "Alois Nebel" holen einen Sonderling die Schrecken der Nazi-Zeit ein

Es beginnt geradezu gespenstisch: Es ist Nacht, und während man die Stimme eines Mannes hört, der einen Zugfahrplan vor sich hin murmelt, sieht man einen anderen Mann mit einer Axt, der in der Dunkelheit durch einen Wald rennt, gehetzt von Verfolgern mit Leuchtpistolen und Hunden.

"Alois Nebel": Einen Sonderling holen die Schrecken der Nazi-Zeit ein
Foto: dpa, Neue Visionen Filmverleih

Nur knapp entkommt er seinen Häschern, er spricht kein Wort, und das wird sich auch nicht ändern. Das ist der Anfang eines der interessantesten Animationsfilme der letzten Jahre, der wie schon "Waltz with Bashir" von Ari Folman eine ungewöhnliche Optik mit einer tiefgründigen Geschichte verbindet.

"Alois Nebel" ist die Verfilmung einer graphic novel, einer Comic-Trilogie des tschechischen Zeichners Jaromír Svejdík alias Jaromir 99, der auch als Co-Autor bei der Entstehung des Films mitwirkte. Für die im Rotoskopie-Verfahren gedrehte Kinoversion (bei der real gedrehte Bilder auf eine Glasscheibe projiziert und nachgezeichnet werden) wurde Regisseur Tomás Lunák im letzten Jahr beim Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.

Alois Nebel heißt der Mann, dessen Stimme man zu Beginn gehört hat. Er ist Fahrdienstleiter in einem heruntergekommenen kleinen Bahnhof an der tschechoslowakisch-polnischen Grenze, dem ehemaligen Sudetenland.

Man schreibt das Jahr 1989, und der melancholische Sonderling hat sich in seiner Einsamkeit und seinem Alltagstrott eingerichtet, wird aber nachts von Alpträumen heimgesucht, in denen Menschen in Zügen abtransportiert und Familien auseinandergerissen werden.

Weil die Halluzinationen kein Ende nehmen, landet Alois schließlich in einer Nervenklinik, wo er einem mysteriösen stummen Mann begegnet, der ein altes Foto mit sich trägt und verhaftet wurde, nachdem er die Grenze überquert hatte.

Und während draußen vor der Klinik der Eiserne Vorhang fällt, stellt sich Alois den Schatten der Vergangenheit, den schrecklichen Erinnerungen seiner Kindheit. Mit dieser irrationalen Geschichte und ihrem Verlauf entspinnt sich vor unseren Augen ein ungewöhnlicher Animationsfilm, der zugleich Drama, Thriller, aber auch Geschichtslektion ist.

Dabei spannt er den Bogen von den Deportationen der Nazizeit über die Vertreibung der Sudetendeutschen bis hin in die Tage, als sich die Grenzen zwischen Ost und West wieder öffneten.

(RP)
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