Liebesfilm mit Spitzen auf die türkische Kultur "Gegen die Wand" auf der Berlinale gefeiert

"Dieser Film war schon so lange in mir drin - wie ein Pickel, den ich endlich mal ausdrücken musste", erklärte Regisseur Fatih Akin ("Im Juli") dem begeisterten Berlinale-Publikum nach der umjubelten Vorstellung seines Wettbewerbsbeitrages. Ein deutsch-türkisches Liebesdrama - brachial bebildert, mit viel Selbstironie inszeniert und ausdrucksstark gespielt von Birol Ünel und Newcomerin Sibel Kekilli.

Szenen-Bilder aus "Gegen die Wand"
9 Bilder

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Foto: Berlinale

<P>"Dieser Film war schon so lange in mir drin - wie ein Pickel, den ich endlich mal ausdrücken musste", erklärte Regisseur Fatih Akin ("Im Juli") dem begeisterten Berlinale-Publikum nach der umjubelten Vorstellung seines Wettbewerbsbeitrages. Ein deutsch-türkisches Liebesdrama - brachial bebildert, mit viel Selbstironie inszeniert und ausdrucksstark gespielt von Birol Ünel und Newcomerin Sibel Kekilli.

Dieser Film geht richtig unter die Haut. Die junge Deutsch-Türkin Sibel (Kekilli) versucht durch eine arrangierte Heirat dem Zwang ihrer konservativen Familie zu entfliehen. Ihr Auserwählter für das Ticket in die Freiheit: Herumgammler Cahit (Ünel), der in einer heruntergerockten Kneipe jobt und sich ausschließlich von Kippen und Dosenbier ernährt. Obwohl Cahit wahrlich nicht das Prachtexemplar eines zukünftigen Schwiegersohnes darstellt, wird er von Sibels gestrengem Vater akzeptiert — immerhin ist er Türke, auch wenn es mit seinen Sprachkenntnissen etwas hapert.

Kaum verheiratet gibt es für Sibel nur noch ein Motto: Rock and Roll! Sie zieht um die Häuser, schläft mit fremden Männern, lässt sich tättowieren und nimmt einen Job als Szenefriseurin an. Beinahe-Penner Cahit (Ünel spielt sich als fluchender Pöbel-Alk die Seele aus dem Leib) lässt das nur zu Anfang kalt. Bald merkt er, dass er sich in Sibel verliebt hat. Doch seine Fake-Gattin hat nur für andere Männer Augen.

Was auf den ersten Blick nach lockerleichter Liebeskomödie klingen mag, eingebettet in liebevoll-ironische Spitzen auf die türkische Kultur, ist alles andere als seichte Kost. Da ist zum einen das sensationelle Schauspiel der beiden Hauptdarsteller. Ünel mimt den desillusionierten Dauertrinker ebenso derb wie zart, eine authentische Performance, die viele Journalisten als die beste im Rahmen der Berlinale-Konkurrenz bezeichneten. Leinwand-Debütantin Sibel Kekilli wurde von Fatih Akin auf der Straße entdeckt und unter 300 weiteren Frauen beim Casting ausgewählt. "Sie hat vorher als Verwaltungsangestellte in Heilbronn gearbeitet. Da kann man mal sehen, was für tolle Frauen es in Heilbronn gibt", sagt Akin.

Die Geschichte einer jungen Frau zwischen türkischer Tradition und deutscher Kultur — Akin setzte die multikulturelle Thematik jenseits des Klischees um, ohne erhobenen Zeigefinger. Dazu der Regisseur: "Ich will die türkische Tradition nicht angreifen oder die ältere Generation denunzieren. Dennoch hoffe ich, dass konservative Eltern — egal welcher Kultur — durch meinen Film zum Nachdenken angeregt werden und merken, welchen Schaden sie mit zu viel Strenge anrichten können".

Neben dem Einblick in die täglichen Probleme junger Türkinnen in Deutschland vermittelt Akin auch einen Eindruck vom modernen Istanbul — in dem sich anders als in den ländlichen Gebieten eine intellektuelle Szene gebildet hat. "In Istanbul gibt es eine Bohemebewegung, die Jugend ist weitaus politischer engagiert als hier in Deutschland. Sie sind moderner, weil die Türkei ein sehr schnelles Land ist, in dem sich viel verändert hat. Dennoch halte ich den kulturellen Austausch zwischen Türken in Deutschland und der Türkei für wichtig und fruchtbar", erklärt Akin. Ein Journalist fragt, ob Akin je befürchte, vom Publikum auf Gatsarbeitergeschichten reduziert zu werden (Akin drehte zuvor "Solino" über italienische Einwanderer im Ruhrgebiet der sechziger Jahre). Der Hamburger Regisseur korrigiert: "Das Wort Gastarbeiter gibt es in meinem Wortschatz gar nicht mehr. Es ist albern und chauvinistisch, zu fragen, ob ich Gastarbeiterfilme mache!"

Insgesamt zeigt Fatih Akin eine Art Schnittmenge verschiedener Kulturen, die seit Jahrzehnten in Deutschland zusammengewachsen sind — eine Geschichte aus drei Perspektiven betrachtet, mit deutschem, türkischem und deutsch-türkischem Blickwinkel. "Ob wir wollen oder nicht — wir sind Deutsche, wir sind hier geboren und leben in diesem Land. Das muss doch nicht immer thematisiert werden, sondern sollte eigentlich längst eine Selbstverständlichkeit sein", so Akin. Riesenbeifall für den Regisseur und seine Akteure — Akin hebt lässig die Finger zum Victory-Zeichen und zwinkert in die Kameras.

"Gegen die Wand" startet deutschlandweit am 22. April.

Von Dörte Langwald

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