„Woman in the Window“ Für einen misslungenen Film sehr gut

Eigentlich hatte der stargespickte Thriller „Woman in the Window“ im Kino starten sollen. Doch bei Probevorführungen fiel er durch, und so landete er bei Netflix. Sehenswert ist er dennoch.

 Julianne Moore in „Woman in the window“.

Julianne Moore in „Woman in the window“.

Foto: AP/Melinda Sue Gordon

Auf dem Papier klingt „Woman in the Window“ wie ein neuer Pandemie-Coup aus dem Hause Netflix. Schließlich leidet die weibliche Hauptfigur an Agoraphobie, hat zehn Monate das Haus nicht mehr verlassen, lässt sich die Lebensmittel liefern und schaut (nomen est omen) sehr viel aus dem Fenster. Quarantäne, Selbstisolation, soziale Distanz – Begriffe, die in den letzten vierzehn Monaten unseren allgemeinen Sprachgebrauch infiziert haben, bieten hochaktuelle Anknüpfungspunkte für diesen Stay@Home-Thriller.

Doch der Schein trügt. Denn „Woman in the Window“ ist ein Hollywood-Ladenhüter mit einer langen, leidvollen Produktionsgeschichte. Die Dreharbeiten fanden bereits 2018 statt. Nach desaströsen Test-Screenings wurde der Film von erfahrenen Script-Doktoren umgeschrieben und mit „Reshoots“ zu retten versucht, nur um dann nach weiteren Startverschiebungen ins Portfolio des hungrigen Streamingdienstes übernommen zu werden.

Dennoch: Die Credits machen neugierig. Neben Amy Adams in der Hauptrolle gehören Gary Oldman und Julianne Moore zur Besatzung. Als Regiekapitän war immerhin Joe Wright an Bord, der dem Kino unvergessliche Literaturverfilmungen wie „Stolz und Vorurteil“ (2005), „Abbitte“ (2007), „Anna Karenina“ (2012) geschenkt hat. Und so lässt man sich ein auf eine Geschichte, die im ersten Drittel eine solide Thriller-Dynamik entwickelt, und die ehemalige Kinderpsychologin Anna Fox (Amy Adams), die ihre Angststörung mit einer täglichen Hand voll Psychopharmaka und gut gefüllten Rotweingläsern nicht in den Griff bekommt. Als Anna im Haus gegenüber sieht, wie ihre neue Nachbarin Jane (Julianne Moore) im Streit mit ihrem Mann (Gary Oldman) erstochen wird, alarmiert sie die Polizei, bevor sie im Pankikanfall das Bewusstsein verliert. Als sie wieder aufwacht, stehen ihr zwei Kriminalbeamte gegenüber sowie der vermeintliche Mörder mit einer ganz anderen, lebendigen Ehefrau (Jennifer Jason Leigh).

War das alles nur ein pharmazeutisch-alkoholischer Alptraum? Das fragen sich nicht nur die Ermittler, sondern zunehmend auch Anna, die mit ihrer Phobie ein traumatisches Verlusterlebnis kompensiert, und das Publikum, das sich in den Fängen einer unzuverlässigen Erzählerin befindet. Schließlich hat Regisseur Joe Wright alles dafür getan, dass die Grenzen zwischen Realität und Vision kaum auszumachen sind: Die Kamera von Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amelie“) deliriert kunstvoll durch die unvollständig beleuchtet Immobilie, der Soundtrack von Danny Elfman versetzt die Streicher in Aufruhr, und irgendwann fällt im Wohnzimmer sogar Schnee von der Decke.

Genauso wie die Romanvorlage von Dan Mallory (Pseudonym: A.J. Finn) ist auch der Film als bemühte Hitchcock-Hommage angelegt. Die Frau, die ihre Nachbarn beobachtet, ist natürlich eine Nachfolgerin von James Stewart in „Das Fenster zum Hof“. Das Treppenhaus windet sich in „Vertigo“-Stil nach oben. Von der Seite winkt George Cukors „Gaslight“ herein, während weitere Noir-Klassiker nachts über Annas Bildschirm flimmern. Aber all die Verweise auf Klassiker der Filmgeschichte, die hochwertige, visuelle Oberfläche, das kompetente Star-Aufgebot simulieren nur Qualität in einem Film, der keine eigene, künstlerische Dringlichkeit entwickeln kann.

Info „Woman in the Window“ läuft bei bei Netflix.

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