Britische Kino-Romanze Apfelkuchen mit Amore

In „Love Sarah“ eröffnen drei Frauen ein Geschäft in London. Das Sujet ist nicht neu, der Film dennoch charmant. Der Zuschauer merkt rasch, wie sinnlich Süßigkeiten sein können.

 Das Gründungsteam der Bäckerei „Love Sarah“ (v.l.): Celia Imrie als Mimi, Shannon Tarbet als Clarissa und Shelley Conn als Isabella.

Das Gründungsteam der Bäckerei „Love Sarah“ (v.l.): Celia Imrie als Mimi, Shannon Tarbet als Clarissa und Shelley Conn als Isabella.

Foto: dpa/Laura Radford

Als der Adonis durch die Tür tritt, ist die Sache eh geritzt. Zärtlich drückt er mit seinen langgliedrigen Fingern Schokoperlen in die Glasur einer Torte. Die Mousse streicht er mit viel Gefühl auf den Biskuit. Und Puderzucker siebt er so anmutig, dass der Film in Zeitlupe abgespielt wird, damit die Zuschauer auch ja den vollen Genuss haben. Am Ende stehen Kaffeebohnen-Eclair, Erdbeer-
Fraisier und Rosen-Macaron mit Litschi-Sorbet vor ihm auf der Edelstahl-Durchreiche, dazu lächelt er siegesgewiss. Niemand wird in diesem Moment anders können als zu seufzen: Ach, die Freuden der Feinbäckerei!

„Love Sarah“ heißt dieser britische Film, der einem speziellen Genre angehört, das man kulinarisches Kino nennen könnte und das den Begriff Augenschmaus wörtlich nimmt. Es bezieht sich auf die alte Gewissheit, dass Liebe durch den Magen geht, und es verbindet Apfelkuchen mit Amore, Kosten mit Küssen und – so ist es nun mal – Naschen mit Vernaschen. „Chocolat“ mit Juliette Binoche und Johnny Depp gehört dazu, „Bella Martha“ mit Martina Gedeck auch, und die Szene, die den Geist dieser speziellen Form der cineastischen Schlemmerei bis zur Karikatur überzeichnet, ist jene in „Rendezvous mit Joe Black“, in der Brad Pitt zum ersten Mal Erdnussbutter probiert. Der Löffel, der da eine wichtige Nebenrolle spielt, wird jedenfalls von vielen sehr beneidet.

Der ausklingende Sommer und der Herbst sind die besten Jahreszeiten für solche Filme, und „Love Sarah“ ist tatsächlich eine sehr schöne Food Romance. Die deutsche Regisseurin Eliza Schroeder hat sie in London gedreht, und sie beginnt mit einer Tragödie. Sarah, die mit ihrer Freundin Isabella eine Bäckerei eröffnen wollte, stirbt bei einem Unfall. Isabella will erst aufgeben, aber Sarahs halbwüchsige Tochter bittet sie weiterzumachen, und schließlich kommt auch Sarahs Mutter an Bord, mit der die Tochter zerstritten gewesen ist. Mit dem Patisserie-Adonis ist das Team schließlich komplett, und von da an wird geschwelgt. „Love Sarah“ heißt das Geschäft. Die süßen Sachen, die Hitze in der Küche: Der Zuschauer hat ständig das Gefühl, zu karamellisieren.

„Notting Hill“-Flair durchweht den Film, London präsentiert sich von seiner schönsten Seite, Kiez-Romantik pur. Eliza Schroeder tönt die Szenen warm ab, in fast jeder Einstellung gibt es einen knallfarbigen Gegenstand, der sich vor dem grauen englischen Himmel heiter abhebt. Edle Menschen in hochwertiger Kleidung halten sich in schönen Zimmern auf und tun einander gut. Und als die erste Woche wenig einträglich abläuft, backen sie eben Köstlichkeiten aus der Heimat der Nachbarn im Viertel. Persischer Liebeskuchen, Schwarzwälder Kirsch, Baklava, Pain au Chocolat, Topfenknödel und Matcha Mille Crepe Cake stehen für die unterschiedlichen Herkunftsländer innerhalb des kosmopolitischen Kollektivs. Zuhause in der Fremde also, über der Ladentür hängt dann auch bald ein Schild mit der Aufschrift „In 80 Backwaren um die Welt“. Das Business brummt.

Eliza Schroeder umschifft die Kitschgefahr meistens ziemlich geschickt. Manchmal nimmt sie sie indes in Kauf, dann aber ganz bewusst, schließlich geht es um eine Konditorei und nicht um ein Steakhouse: Sweets for my sweet, sugar for my honey. Sie wickelt den Zuschauer ein, ihr Film hat so eine Heiße-Schokolade-Kuscheligkeit, und leid tut einem nur der französische Kunde, der bloß sein Croissant in Ruhe essen möchte und zufällig als Blitzableiter herhalten muss in einem Liebesstreit: Armer Pascal!

Es ist alles sehr erbaulich und pittoresk, „Liebe ist die wichtigste Zutat“ lautet ja auch der Untertitel der deutschen Fassung, und irgendwann wünscht man sich tatsächlich ganz dringend, dass jede Figur im Film jemanden zum Küssen findet. Vor allem Celia Imrie als Großmutter ist toll: Ihr göttlicher Gesichtsausdruck, als die lange abwesende Enkelin plötzlich in einem T-Shirt mit der Aufschrift „The Revolution is on her way“ vor ihr steht und sagt, dass sie bei ihr einziehen möchte! Außerdem beschließt man, beim nächsten Einkauf auf dem Wochenmarkt auch mal so sinnlich an einer Orange zu riechen, um zu testen, ob sie wohl frisch ist.

Es dürfte übrigens wenige Zuschauer geben, die spätestens ab der Hälfte des Films keinen Heißhunger bekommen. Deshalb der Tipp: Proviant mitnehmen ins Kino.

Love Sarah, Großbritannien, Deutschland 2020 – Regie: Eliza Schroeder, mit Celia Imrie, Shannon Tarbet, Shelley Conn, Rupert Penry-Jones, Bill Paterson, 98 Min.

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