Familiendrama Gipfeltreffen der Film-Diven

In „La Verité“ liegen Catherine Deneuve und Juliette Binoche miteinander im Clinch. Das ist über weite Strecken herrlich mitzuerleben.

 „Nenn mich nicht Mama“: Catherine Deneuve (l.) als Fabienne und Juliette Binoche als ihre Tochter Lumir.

„Nenn mich nicht Mama“: Catherine Deneuve (l.) als Fabienne und Juliette Binoche als ihre Tochter Lumir.

Foto: dpa/-

Bitte kurz mal vorstellen, was man zur Begrüßung sagen würde, wenn die einzige Tochter nach langer Zeit wieder zu Besuch kommt. Die Tochter, das muss man vielleicht noch erwähnen, lebt inzwischen mit ihrer Familie in Amerika und man selbst in Paris, und die kleine und umwerfend liebenswerte Enkelin ist auch mitgekommen. Na? Catherine Deneuve sagt in diesem Film dieses: „Wie ist es in New York so? Ach vergiss es. Interessiert mich gar nicht. Ich ertrag nur die Stille nicht.“ Und, andere Situation: Wie würde man sich verhalten, wenn einem diese Tochter alsbald vorhielte, man habe sie als Kind nie zum Schultheater begleitet oder ihr beigestanden, als sie Liebeskummer hatte? Wie würde man da reagieren? Madame wählt diese Ansprache: „Ist doch besser, dass ich mich nicht in dein Privatleben einmische, wenn ich dich schon vernachlässige.“

Genau so geht es zu in „La Verité – Leben und lügen lassen“, und das ist ziemlich toll, denn die Deneuve ist als sardonische, maliziöse, überkandidelte Mutter eine Wucht. Gesteigert wird die Freude noch durch die Besetzung von Juliette Binoche als Tochter: Die beiden großen Damen des französischen Kinos spielen Pingpong, und die Bälle sind extrem hart und werden sehr oft geschmettert.

Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda hat den Film gedreht, er gewann vor zwei Jahren für seine Produktion „Shoplifters“ die Goldene Palme bei den Festspielen in Cannes. Koreeda ist ein Autorenfilmer mit eigener, markanter Handschrift, aber bei seinem ersten Dreh außerhalb Japans wurde er anscheinend völlig überrumpelt vom Temperament Deneuves und Binoches. Er lässt die beiden dann auch einfach machen, sie übernehmen die Handlung irgendwann, die ist gar nicht mehr wichtig, man fiebert jedem Aufeinandertreffen von Tochter und Mutter entgegen: „Nenn’ mich in der Öffentlichkeit nicht Mama.“ – „Was soll ich denn sagen?“ – „Fabienne.“

Die Deneuve ist also Fabienne, eine Star-Schauspielerin aus der alten Zeit, und nun ist sie wieder in aller Munde, weil sie ihre Autobiographie veröffentlicht hat. 100.000 Plakate werben dafür in Frankreich, raunt sie ihrer Tochter zu, die bald erfährt, dass es nur 50.000 sind, und zudem aus allen Wolken fällt, als sie das Buch liest. Fehlinformationen im Dutzend, Lügen und Unaufrichtigkeiten, und als die von Binoche gespielte Lumir ihre „maman“ darauf anspricht, bleibt die sehr gelassen: „Ich bin Schauspielerin, ich erzähle wohl kaum die Wahrheit.“

Der Film erzählt die Geschichte einer dysfunktionalen Familie, und sehr kunstvoll werden allmählich Ereignisse aufgefaltet, die das Verhältnis von Mutter und Tochter seit Jahrzehnten belasten. Das hätte leicht ins Melodramatische abgleiten können. Die Boshaftigkeit der Mutter, die in Verletzungen aus der Vorzeit begründet liegt, wird von Deneuve indes so amüsant und mit eleganter Wutlust dargereicht, dass „La Verité“ heiter anmutet.

Deneuve thront zumeist in ihrem Salon und raucht, sie nebelt ihre Umwelt geradezu ein. Ihre Lider öffnet sie widerwillig und bestenfalls halb und überhaupt nur, um sich selbst zu sehen in dem Spiegelsaal, zu dem sie ihr Leben hat werden lassen. In Deneuves Garderobe werden verschiedene Raubtiermuster kombiniert. Großartig, wie sie den Satz „Ich hätte beinahe mit Hitchcock gedreht“ faucht. Oder ihrer Enkeltochter erklärt, warum im Garten eine Schildkröte lebt: „Das war mal ein Mann, der mich geärgert hat.“ Allmählich begreift man, dass diese Dame sich ihre eigene Realität geschaffen hat, weil sie sich in der echten so einsam fühlte.

Die 76 Jahre alte Deneuve ist schon vor ein paar Jahren in eine Phase ihrer Karriere eingetreten, die Zuschauer zumeist aus Gründen des Sightseeing ins Kino gehen lässt: das Denkmal des europäischen Autorenfilms ansehen. Die Geschichten waren lange nicht so interessant wie die Tatsache, dass da die Deneuve agiert. Sie spielt ja irgendwie auch immer sich selbst, ein bisschen jedenfalls; sie kokettiert damit, größer zu sein als der Charakter, den sie verkörpern soll. Hier gibt es nun sogar ganz direkte biographische Parallelen: Fabienne hatte eine Schwester, die auch Schauspielerin war, aber früh gestorben ist. Und da erinnert man sich natürlich an die 1967 gestorbene Francoise Dorléac, die ältere Schwester der Deneuve, die in „Die Mädchen von Rochefort“ so toll gewesen ist.

Jedenfalls: Wenn Deneuve und Binoche im letzten Drittel von „La Verité“ versöhnlicher werden, gerät der Film doch arg gemütlich und gediegen. Ethan Hawke und Ludivine Sagnier treten übrigens auch auf, aber sie sehen zu, dass sie nicht in die Schussbahn zwischen Deneuve und Binoche geraten. Es ist besser so, denn was sagt Deneuve im Film, als ein Journalist sie fragt, ob ihr Schwiegersohn, ein TV-Serien-Star, nicht auch Schauspieler sei? „Na ja, Schauspieler ist vielleicht etwas hoch gegriffen.“

La Verité, Frankreich/Japan 2019 – Regie: Hirokazu Koreeda, mit Ethan Hawke, Catherine Deneuve, Juliette Binoche, 106 Min.

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