„Eingeschlossene Gesellschaft“ Als das Lehrerzimmer implodierte

Sönke Wortmann verfilmt ein Hörspiel von Jan Weiler, und alle deutschen Schauspielstars machen mit: „Eingeschlossene Gesellschaft“ ist ein amüsantes Kammerspiel, das allerdings einige Klischees aus grauer Vorzeit bedient.

 Torben Kessler (v.l.n.r.) als Bernd Vogel , Nilam Farooq als Sara Schuster, Anke Engelke als Heidi Lohmann, Justus von Dohnanyi als Klaus Engelhardt, Thomas Loibl als Holger Arndt und Florian David Fitz als Peter Mertens.

Torben Kessler (v.l.n.r.) als Bernd Vogel , Nilam Farooq als Sara Schuster, Anke Engelke als Heidi Lohmann, Justus von Dohnanyi als Klaus Engelhardt, Thomas Loibl als Holger Arndt und Florian David Fitz als Peter Mertens.

Foto: dpa/Wolfgang Ennenbach

Vor sieben Jahren untersuchte Sönke Wortmann in „Frau Müller muss weg“ den Mikrokosmos Schule und ließ einen Elternabend erkenntnisreich implodieren. Nun kehrt er zurück in jenes Habitat, um es aus der Lehrerzimmerperspektive neu zu erkunden.

Es ist Freitag Nachmittag an einem städtischen Gymnasium. Die letzten Schüler sind längst vom Hof. Nur im ersten Stock befindet sich noch eine Handvoll Pädagoginnen und Pädagogen, die gerade dabei sind, ins verdiente Wochenende aufzubrechen. Aber da klopft es an der Tür. Der Vater eines Schülers verlangt Einlass ins Allerheiligste und lässt sich nicht abwimmeln. Manfred Prohaska (Thorsten Merten) ist sichtlich aufgebracht. Ein einziger Punkt fehle seinem Sohn für die Abiturzulassung, den der verbissene Lateinlehrer Klaus Engelhardt (Justus von Dohnányi) ihm verwehrt habe. Kann es denn wirklich sein, dass die Zukunft des Jungen wegen eines lächerlichen Punktes auf dem Spiel steht? Aber Engelhardt stellt sich stur. Er hat seine Parameter und Prinzipien, von denen er nicht abzurücken gedenkt. In seinem Notizbuch sind die fachlichen Leistungen der Schüler minutiös festgehalten. Aber mit der arroganten Haltung des Lehrers will sich der Vater nicht abfinden. Er zückt eine Pistole, verschließt die Türen, nimmt die Anwesenden als Geisel und gibt ihnen eine Stunde Zeit, um in einer erneuten Notenkonferenz ihr Urteil noch einmal zu überdenken.

In dem klaustrophobischen Setting entfacht Wortmann nun ein ausgeklügeltes Kammerspiel, in dem Haltungen und Konflikte innerhalb des Lehrkörpers variantenreich herausgearbeitet werden. Zum harten konservativen Kern im Kollegium gehört neben dem selbstgefälligen Engelhardt auch die verkniffene Französischlehrerin Heidi Lohmann (Anke Engelke), die voller Verachtung auf die Schülerschaft herabblickt. Sportlehrer Peter Mertens (Florian David Fitz) hingegen macht auf lässig und sonnt sich in seiner vermeintlichen Beliebtheit, während Kollege Holger Arndt (Thomas Loibl) sich als Vermittler zwischen den Fronten sieht. Klarer Außenseiter sind der linkische Chemielehrer Bernd Vogel (Torben Kessler), der sich hinter seinem Fachwissen verschanzt, sowie die Referendarin Sara Schuster (Nilam Farooq), die nicht nur mit ihrem gendergerechten Sprachgebrauch die verkrusteten Strukturen hinterfragt.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ basiert auf dem gleichnamigen Hörspiel von Jan Weiler, der mit den ebenfalls verfilmten Romanen „Maria ihm schmeckt‘s nicht“ und „Das Pubertier“ die Bestseller-Listen eroberte. Die Radio-Vergangenheit merkt man dem Film deutlich an. Mit geschliffenen Dialogen und spitzen Pointen werden die Konflikte im Kollegium angestachelt, und schon bald ist klar, dass alle hier ihre pädagogische Vorbildfunktion nur unzureichend erfüllen. Der penible Engelhardt bereicherte sich an Klassenfahrten, Mertens hatte Affären mit einigen Schülerinnen, Arndt betätigte sich als Spitzel für den neuen Schuldirektor, der Chemielehrer hat Pornos auf seinem Laptop, und die Französischlehrerin ist nie über ihre unerfüllte Liebe zu einem gewissen Georges Moustaki hinweggekommen.

Wie schon in seinen anderen Kammerspielen „Frau Müller muss weg!“ (2015) und „Der Vorname“ (2018) erweist sich Sönke Wortmann auch hier wieder als versierter Ensemble-Regisseur mit einem genauen Blick für gruppendynamische Strukturen. Die A-Liga-Besetzung glänzt mit großer schauspielerischer Kompetenz, allerdings wurden hier ausnahmslos alle Beteiligten mit ihren Rollen direkt vor der Haustür abgeholt. Justus von Dohnányi als verbissener Prinzipienreiter, Anke Engelke als widerborstige Schulhexe, Florian David Fitz als Schürzenjäger im Trainingsanzug – sie können hier im Heimspiel-Modus operieren, was allerdings auch das Überraschungspotenzial für ihre ohnehin etwas klischeebeladenen Figuren deutlich mindert.

Als prominent besetzte Ensemblekomödie funktioniert „Eingeschlossene Gesellschaft“ vorbildlich, als Kommentar zum modernen Schulwesen und seinen Unzulänglichkeiten wirkt der Film hingegen sichtbar veraltet. Die konservativen Pauker-Typisierungen entstammen einem Lehrerbild, das schon seit mehr als einem Jahrzehnt in den Ruhestand versetzt wurde. Da geht es heute im Lehrerzimmer deutlich bunt gemischter zu, und auch die schulischen Problemlagen sind wesentlich vielschichtiger als die klassischen Autoritätskonflikte, wie sie in dieser allzu zeitlosen Komödie beschrieben werden.

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