„Das Licht aus dem die Träume sind“ Freie Aussicht ins Paradies

Ein filmisches Kleinod aus Indien: Die poetische Produktion „Das Licht, aus dem die Träume sind“ erzählt von der Kraft der Kunst. Und vom Erwachsenwerden im Kino.

 Bhavesh Shrimali (l.) als Fazal und Bhavin Rabari als Samay vor dem Projektor.

Bhavesh Shrimali (l.) als Fazal und Bhavin Rabari als Samay vor dem Projektor.

Foto: dpa/-

Der Vater hebt den Zeigefinger. Das sei das erste und das letzte Mal, dass er einen Film sehen werde, sagt Bapuji (Dipen Raval) zu seinem Sohn. Der Mann, der am Bahnhof in der indischen Provinz Gujarat Tee an die umsteigenden Fahrgäste verkauft, ist kein Freund des Kinos. Filme sind in seinen Augen schmutzige Unterhaltung und eines gläubigen Hindus nicht würdig. Aber in der nahegelegenen Stadt läuft ein religiöser Erbauungsfilm, weshalb das familiäre Verbot für einen Abend ausgesetzt wird.

Als der neunjährige Samay (Bhavin Rabari) auf der Leinwand das hinduistische Bollywood Musical mit seinen grellbunten Farben, den tanzenden Statistenmassen und imposanten Göttermasken erblickt, ist es um ihn geschehen. Fortan tut er alles, um sich nach oder während der Schule heimlich ins Kino zu schleichen. Schon bald erteilt ihm der Besitzer Hausverbot. Aber die Lunchbox, die seine Mutter jeden Tag mit köstlichen Gerichten füllt, wird für den kleinen Cineasten zur Rettung. Ihr Duft strömt hinüber zu einem Mann, der sich als Filmvorführer entpuppt. Da Fazal (Bhavesh Shrimali) gutes Essen genauso liebt wie Samay das Kino, schließen die beiden einen Pakt: Der Junge gibt sein Mittagessen ab, und dafür darf er durch das kleine Fenster im Projektor-Raum alle Filme anschauen.

Wer nun an Giuseppe Tornatores cinephilen Klassiker „Cinema Paradiso“ (1988) denkt, liegt nicht ganz falsch. Wie Tarnatore reist auch der indische Regisseur Pan Nalin in „Das Licht, aus dem die Träume sind“ zurück in die Kindheit und zu den Ursprüngen der eigenen Liebe zum Kino. Aber sein Film ist weit mehr als der nostalgische Rückblick eines bekennenden Cineasten.

Nalin („7 Göttinnen“) taucht in die Erinnerung ein, um sehr viel tiefer das Wesen und die Faszinationskraft des Kinos zu erkunden. Das kleine Guckloch im Vorführraum wird für Samay zum Fenster in eine Welt der unendlichen Möglichkeiten und überbordender Fantasie. Und Fantasie hat der Junge. Er drapiert einen seiner Freunde mit einem Fahrradlenker in den Händen auf der Wiese und lässt die anderen geduckt mit grünen Ästen um ihn herumlaufen. Durch den Bildausschnitt eines kleinen Kartons sieht es aus, als würde der Junge mit dem Motorrad durch die Landschaft brausen. „Filme sind erfunden worden, um die Menschen zu betrügen“ sagt Vorführer Fazal zu dem Jungen, was für Samay eher ein Ansporn ist, alles über diese Betrugstechnik wissen zu wollen.

Aber „Das Licht, aus dem die Träume sind“ predigt nicht nur von den Freuden des Celluloids, sondern wird selbst zu einem Meisterwerk sinnlichen Erzählens. Im Gegensatz zu den knallbunten Bollywood-Musicals, turbulenten Action-Filmen und pathetischen Historienfilmen, die der Junge im Kino verschlingt, setzt Nalin in seinem Film auf eine ruhige, kraftvolle, meditative Bildsprache. Kameramann Swapnil S. Sonawane verbindet sommerflirrende Landschaftsaufnahmen mit dem geduldigen Blick auf staunende Kindergesichter und verwandelt den engen Projektorraum zu einem magischen Ort. Es sind Bilder, die man glaubt anfassen, riechen und schmecken zu können, weil sie den Zauber der Illusion, die im Film beschworen wird, selbst tief eingeatmet haben.

Das Licht, aus dem die Träume sind, Indien 2022 – Regie: Pan Nalin mit Bhavin Rabari, Bhavesh Shrimali, Dipen Raval, 110 Min.

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