Berlin-Komödie Genauso wunderbar wie Amélie

„Cleo“ ist der bezaubernde Debütfilm von Erik Schmitt, der Real- und Trickelement kombiniert. Ein Geschenk fürs deutsche Kino.

„Du kannst nicht zweimal in den selben Fluss springen. Es ist nicht mehr der selbe Fluss und du nicht mehr die selbe Person“ – mit diesem Worten von Heraklit über die Vergänglichkeit beginnt „Cleo“. Aber gleich darauf beschwert sich die Hauptfigur über das allzu bedeutungsschwere Zitat und fordert einen anderen Anfang für den Film ein. Kein Problem. Das Tor öffnet sich zum Berliner Alexanderplatz. Ein schnauzbärtiger Erzähler führt durch die belebte Metropole und beschwört die Seele der Stadt. Aber auch dieser Anfang wird tricktechnisch wieder zusammengeknüllt und durch eine Zeitraffersequenz ersetzt, in der die Geschichte Berlins von der Gründung über den Zweiten Weltkrieg bis zum Mauerfall in wenigen Sekunden über die Leinwand flimmert.

Gleich zu Beginn macht Regisseur Erik Schmitt klar, dass er das Kino als Spielplatz begreift, auf dem er sich nach seinen eigenen Regeln zu tummeln gedenkt. Schmitt hat schon einige Kurzfilme gedreht, die auf internationalen Festivals mit Preisen überhäuft wurden. Auch in seinem Spielfilmdebüt bleibt er seinem kreativen Stil treu, in dem Real- und Trickfilm munter miteinander vermischt werden und Berlin in einen märchenhaften Ort verwandelt wird. Am Tage des Mauerfalls kommt die Titelheldin zur Welt. Die Mutter stirbt bei der Geburt und der Vater kommt bei einem tragischen Unfall um, als er mit der zehnjährigen Tochter in den Katakomben der Stadt auf Schatzsuche geht.

Diese traumatischen Verluste haben Cleo (Marleen Lohse) zu einer neurotischen Frau heranwachsen lassen, die den Kontakt zu Mitmenschen scheut und sich in ihrem kleinen Leben eingemauert hat. Aber dann taucht Paul (Jeremy Mockridge) in ihrem Büro auf und hat eine Schatzkarte dabei. Als Stadthistorikerin erkennt Cleo sofort, dass es sich um eine Skizze der legendären Bankräuber-Gebrüder Sass handelt, die ihre Beute in den 1930er Jahren an einem geheimen Berliner Ort versteckt haben. Paul interessiert sich nur für Schmuck und Gold. Cleo hingegen weiß, dass in der Schatzkiste auch eine magische Uhr lagert, mit der man die Zeit zurückdrehen können soll. Damit hofft sie nun die tragischen Ereignisse ihrer Kindheit ungeschehen zu machen.

Die Schatzsuche führt kreuz und quer durch Berlin und endet schließlich am Teufelsberg, wo die Geschichte der Stadt übereinander geschichtet ist. Oben die leerstehende militärische Abhöranlage aus dem Kalten Krieg, darunter ein Berg aus dem Weltkriegstrümmern, mit denen wiederum die alte Wehrtechnische Universität aus der NS-Zeit zugeschüttet wurde. Ganz tief in den Berg und die eigene Seele hinein muss sich die Schatzsucherin graben, um sich mit der Vergangenheit zu konfrontieren.

„Cleo“ ist ein quirliger, mit sehr viel Fantasie und Liebe gearbeiteter Film. Unübersehbar hat sich Schmitt von den Filmen Michel Gondrys („Vergiss mein nicht“) und Jean-Pierre Jeunets („Delikatessen“/“Die fabelhafte Welt der Amelie“) inspirieren lassen. Wie eine Berliner Amelie streift diese Cleo durch die Hauptstadtmetropole, die sich überraschend bruchlos in einen magischen Ort verwandeln lässt. Ein Kanaldeckel verwandelt sich in einen Plattenspieler und die Wohnung wird zur Straßenbahn, an deren Fenster die Häuser vorbeiziehen. Die Seelen von Albert Einstein, Max Planck und der Gebrüder Sass greifen als Schwarz-Weiß-Hologramme beratend ins Geschehen ein. Bunte Farbkompositionen, Stop-Motion-Sequenzen und das beträchtliche Leinwandcharisma von Marleen Lohse mischen sich hier zu einem cineastischen Fantasiecocktail, dem man seine dramaturgischen Unebenheiten, kitschigen Abschweifungen und eine allzu deutlich ausformulierte Botschaft nur zu gerne vergibt.

Sicherlich ist „Cleo“ kein Meisterwerk, aber das ungeheuer vielversprechendes Debüt eines echten Filmverliebten, der dem deutschen Kino hoffentlich noch viele Geschenke machen wird.

„Cleo“, Deutschland 2019 – Regie: Erik Schmitt, mit Marleen Lohse, Jeremy Mockridge, Filmtitel: 99 Min.

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