„Buena Vista Social Club“ auf Jamaikanisch Im Hinterhof des Reggae

Der Film „Inna de Yard“ erzählt die Musikgeschichte Jamaikas.

 Alte Helden: Cedric Myton, Winston McAnuff und Kiddus I.

Alte Helden: Cedric Myton, Winston McAnuff und Kiddus I.

Foto: Verleih/Borsalino

Ein Haus in den Bergen bei Kingston/Jamaika. In jeder Ecke türmen sich Vinylschallplatten. Zur Vorbereitung für die Bild- und Ton-Aufnahmen zum zweiten „Inna de Yard“-Album (seit Anfang April als CD/LP erhältlich) und die begleitende gleichnamige Kino-Dokumentation wird auf der Terrasse ein Klavier gestimmt. Tatsächlich sitzen und spielen die Musikanten später auf der Veranda, während die Vokalartisten ihre Gesangsspuren im Wohnzimmer aufnehmen. Alle zusammen sind gefühlt aber „Inna de Yard“. Im Hinterhof. Es werden ein gutes Dutzend Reggae-Klassiker von altersbedingt stark angegrauten Original-Interpreten neu eingespielt. Unplugged. Nur mit Nyabinghi-Trommeln, Gitarren-, Bass-, Piano- und Bläserbegleitung. Und es klingt herrlich.

Natürlich hat sich „Inna de Yard“-Regisseur Peter Webber (bekannt durch den „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“) vom kubanischen Vorbild „Buena Vista Social Club“ und dessen deutschen Direktor Wim Wenders inspirieren lassen. Und was für Wenders einst die Grandseigneurs des Son, Rubén González, Ibrahim Ferrer und Compay Segundo, waren, sind für Webber die Reggae-Legenden Ken Boothe, Cedric Myton (The Congos), Judy Mowat (I-Threes), Winston McAnuff und Gastgeber/Hausherr Kiddus I.

Aber es geht in „Inna de Yard“ um weit mehr als nur die Neuaufnahmen von superben Songs wie „Everything I Own“ (Boothe), „Row Fisherman“ (Myton) oder „Malcolm X“ (McAnuff). Der auch als Dokumentarfilmer preisgekrönte Webber zeigt unter anderem in zahlreichen Rückblenden aus der „goldenen Reggae-Ära“ (vor allem den 60er und 70er Jahren) den nicht immer prätentiösen Werdegang seiner Protagonisten, der schließlich bis ins Jahr 2017 reicht. Damit einhergehend wird den Reggae-Veteranen reichlich Gelegenheit gegeben, überaus persönliche bis intime Geschichten zu erzählen. Dann geht es um die Familien, den (Rastafari-)Glauben, landestypische Kräuter und die grundsätzliche gesellschaftspolitische Situation in der vormaligen UK-Kolonie.

Auch die musikalische Entwicklung von Ska über Rocksteady hin zu Reggae wird selbstredend angemessen ausführlich erläutert. Immerhin wurde Jamaikas originärer Offbeat-Sound 2018 von der Unesco-Kommission und völlig zu Recht zum immateriellen Weltkulturerbe gekürt. Und gleichwohl Jamaika unzweideutig ein Dritte-Welt-Land ist, sorgen die wunderbaren Landschaftsaufnahmen des karibischen Eilands für Fernweh.

In Summe ist „Inna de Yard“ eine würde- und respektvolle Hommage an Jamaika und seine großartigen Artists. Jeder Reggae-Connaisseur wird die Musikdokumentation demnächst in einem Atemzug mit den berühmten Reggae-Filmen „The Harder They Come“ (1972) und „Rockers“ (1978), sowie der fabelhaften Bob Marley-Doku „Marley“ (2012) nennen.

Dafür „Big Up“ Mr. Webber!

Inna de Yard – The Soul of Jamaica, Frankreich 2018 – Regie: Peter Webber, mit Judy Mowat, Ken Boothe, Cedric Myton, Jah 9, 99 Min.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort