„Moonage Daydream“ Reise in den Kopf von David Bowie

Düssseldorf · Der Dokumentarfilm „Moonage Daydream“ nähert sich dem 2016 gestorbenen Popstar auf ungewöhnliche Weise. Statt sein Leben abzuhandeln, lässt er das Publikum in Bowies Denken eintauchen.

Sinnlicher Overkill: Filmstill aus „Moonage Daydream“.

Sinnlicher Overkill: Filmstill aus „Moonage Daydream“.

Foto: Universal Pictures

Natürlich kann man keinen klassischen Dokumentarfilm über David Bowie drehen. Man darf nicht mit „wurde geboren in“ und „starb am“ ankommen. Bowie braucht einen Weltraumgleitflug durch seinen eigenen Kosmos, das Publikum muss in seine Welt geführt werden, Zutritt bekommen zu Vorstellung und Vision. In einer Doku über David Bowie müsste es ein bisschen wie bei „Alice in Wunderland“ zugehen: Das Kino als Kaninchenbau, in dem Dada, Gaga und Daseinsfreude regieren. Und beim Rauskommen ist man ein anderer.

„Moonage Daydream“ heißt der Film, der all das versucht. Er erzählt das Leben des größten Solo-Popstars aller Zeiten, des 2016 mit 69 Jahren gestorbenen David Bowie. Und er tut es, indem er Leben als Denken und Driften begreift. Bowie wirkt in dieser Produktion wie ein Magnet, er zog Themen und Sachen an, Geisteshaltungen und Stile, und durch diese Anverwandlungen definierte er sich. Sie veränderten seine Gestalt, die Energie der Veränderung trieb ihn an. Ein Sammler sei er, sagt er selbst im Film, sein Werk sei ein großer Pudding aus vielen Ideen. Und dann singt er „And I’m floating in a most peculiar way / And the stars look very different today“.

Brett Morgen hat den Film gedreht. Manche werden „Montage Of Heck“ kennen, seine Annäherung an Kurt Cobain. Morgen durfte etwas, für das ihn viele beneiden, er bekam Zugang zum Nachlass David Bowies. Fünf Millionen Dokumente fand er vor, und er brauchte zwei Jahre, um sich einen Überblick zu verschaffen. Man stelle sich das vor: Während man selbst zur Arbeit fährt, betritt da einer jeden Tag das Gehirn von David Bowie. Und natürlich verlor sich Brett Morgen darin. Er war wie gelähmt, acht Monate wusste er nicht weiter, „writer’s block“ nennt man das, schrecklich.

Aber Brett Morgen tat das einzig Richtige. Er fragte: Was würde Bowie tun? Und er tat, was Bowie nun mal getan hat, wenn er spürte, an ein Ende gekommen zu sein: Er reiste, wechselte den Ort, suchte den Transit. Es gibt eine Stelle im Film, da erzählt Bowie, wie er gemerkt habe, dass er in Los Angeles nicht mehr schreiben konnte. Er wollte sich deshalb in der härtesten Stadt aussetzen, die er sich vorstellen konnte, am obskursten aller möglichen Orte. Es kam nur einer für ihn infrage, er zog nach Berlin, und dann singt er „Heroes“.

Woanders sein half auch Brett Morgen. Anderswo gestaltete er die Form dieses Films. Eine flüssige Form. Man muss sich „Moonage Daydream“ als Collage vorstellen, als beinahe zweieinhalb Stunden langen Bilderstrom. Man sieht Szenen aus „Nosferatu“ und „Metropolis“, Porträts von Nietzsche und Brecht, und dann wieder unbekannte Aufnahmen von Bowie in Thailand, im Kloster und beim Malen. Über allem liegt eine Tonspur, die ausschließlich aus der Stimme Bowies besteht und aus seiner Musik, die von Produzent Tony Visconti eigens für den Film neu eingerichtet wurde und zumeist in entschlackten Versionen dargereicht wird.

Bowie feierte das Chaos, und „Moonage Daydream“ wirkt zunächst ebenfalls ungeordnet, wie ein sinnlicher Overkill. Erst allmählich wird klar, dass der rote Faden Bowies eigene Entwicklung ist, sein Werden, Sich-Entfalten; die emotionale und geistige Biografie sozusagen. Das ist ja das Problem bei so vielen biografischen Nacherzählungen, dass eine Lebensgeschichte aus der Rückschau logisch wirkt, zwangsläufig auf ein Ziel hinzuführen scheint. Aber so funktioniert Leben nicht, so funktioniert Kunst nicht. Beides besteht vor allem im Suchen und Nicht-Finden, im Probieren und Verwerfen, und „Moonage Daydream“ will näher an die Wahrheit kommen, indem der Film sich als psychedelisches und psychologisches Experiment gibt: Being David Bowie.

Es gibt umwerfende Aufnahmen aus dem englischen Fernsehen. Moderatoren versuchten Bowie zu Beginn oft mit dem Begriff der Bisexualität zu fassen. Das war ein großes Ding, anders konnte man sich offenbar nicht erklären, warum einer Frauenschuhe trug, Nagellack und Kleider. Es ist faszinierend, mitunter rührend, wie ernst und aufrichtig Bowie selbst auf bescheuertste Fragen geantwortet hat. Schön ist auch die Pressekonferenz Anfang der 1980er-Jahre. Er kündigte „Let’s Dance“ an, das Album und die dazugehörige Tournee, die ihn zum MTV-Superstar machen würden. Er sagte damals, er wolle nun positive Musik produzieren. Und er sagte das mit einer derart entwaffnenden Arglosigkeit, dass mancher sofort nach dem doppelten Boden zu suchen begann.

Der Film widmet sich vor allem den 1970er- und frühen 1980er- Jahren. Die 90er werden nur gestreift, die finale „Blackstar“-Phase kommt gar nicht vor. Dafür wird die Liebe zu Iman, Bowies Witwe, als eine Art Vollendung, als Ziel einer Reise inszeniert. Man möchte immerzu mitschreiben, was Bowie sagt. Das wäre sowieso etwas, das man gerne hätte: ein Buch mit Bowies Weisungen. Dass es im Leben darum gehe, eine Haltung zu haben und ein Individuum zu sein, sagte er. Dass manche zu Workaholics würden, um sich nicht sich selbst stellen zu müssen. Und dass Armut in der Kunst nicht gleichzusetzen sei mit Reinheit. Das sagte er übrigens, als man ihn auf seinen Werbevertrag mit Pepsi ansprach.

„Moonage Daydream“ ist ein Erlebnis. Vielleicht wird diese offene Form stilbildend für Künstlerdokumentationen. Es ist ein Ritt, man kommt so erschöpft wie bereichert aus dem Kino. Im Kopf die Antwort Bowies auf die Frage, was er anbete. „Das Leben.“

Moonage Daydream, USA 2022 – Regie und Buch: Brett Morgen; mit David Bowie; 140 Minuten

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