Femolution Wie feministische Serien das Fernsehen verändern

Düsseldorf · Frauen haben das Genre der Serie revolutioniert. Produktionen wie „Girls“ oder die neue Serie „Broad City“ pflegen den weiblichen Blick auf die Welt. Die Alpharüden aus „Mad Men“ und Co. gehen in Rente.

 Szene aus „Girls“ mit Lena Dunham (zweite von rechts), die auch Produzentin der Serie war.

Szene aus „Girls“ mit Lena Dunham (zweite von rechts), die auch Produzentin der Serie war.

Foto: ZDFneo

Zum Einstieg eine Szene aus der Serie „Girls“: Es geht um vier junge Frauen in New York, einer Stadt, die mehr Einwohner als Menschen hat. Eine der Frauen muss sich vor ihren Freundinnen für ihren neuen Lover rechtfertigen. Wie kann sie sich bloß solch einen Langweiler anlachen? Die Antwort: „Er arbeitet in der Produktentwicklung. Das ist perfekt für mich, denn ich mag Produkte.“

Wenn man schaut, welche Themen neue Serien behandeln, merkt man, dass Männer und ihre Malaisen gerade nicht so angesagt sind. Die ersten 15 Jahre des laufenden Jahrtausends dominierten launige Alpharüden, die über mehrere Staffeln hinweg Imperien aufbauten und dafür mordeten („Sopranos“), Drogen kochten („Breaking Bad“) oder hauptberuflich gut frisiert waren („Mad Men“). Diese Zeiten sind vorbei, in den USA kursiert der Begriff der „Fem-o-lution“. Frauen haben das Format Serie revolutioniert. Die interessantesten, lustigsten und originellsten Serien der Gegenwart heißen „Girls“, „Broad City“, „Crazy Ex-Girlfriend“ und „Insecure“. Und sie wurden von Frauen entwickelt.

„Es passiert ganz viel“, bestätigt Véronique Sina, Medienwissenschaftlerin an der Uni Köln. Ihr Thema ist die Geschlechterforschung in der Populärkultur. Es gebe einen neuen Typ von Heldinnen, sagt sie. Unperfekte, widerspenstige Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen. Und zwar auf so komplexe Art, wie man das selten erleben durfte. Sie sind mitunter böse, manchmal traurig. Sie sind selbstbewusst, peinlich und aggressiv. Sie zweifeln und arbeiten oft in schlecht bezahlten Jobs. Und sie sind witzig und selbstironisch. „Ich sage immer, dass du ein Retortenbaby warst, damit du interessanter wirkst“, sagt eine Frau in „Girls“ zu ihrem Freund.

Die meisten weiblichen Serien sind Komödien. US-Komikerin Tina Fey kennt den Grund: „Männer machen Comedy, damit sie sich mal daneben benehmen können. Frauen, um sozial akzeptierte Regeln zu brechen.“ Das letzte Tabu ist dabei die weibliche Sexualität. Lena Dunham, Erfinderin und Hauptdarstellerin der Serie „Girls“ zeigt ihren nackten Körper oft und ganz bewusst, weil er eben keine Modelmaße hat. Sie will das als Herausforderung verstanden wissen, als Gegenbild zur üblichen, zumeist von Männern inszenierten, schmackhaft getunten Nacktheit.

Die Filmtheoretikern Laura Mulvey forschte 1975 über den männlichen Blick. Die Kamera in Film und TV, schrieb sie, sei stets das männliche Auge. Und die Frau, auf die es blicke, sei per se das Objekt. Das ist nun anders. Die Kamera wird nicht mehr ausgeschaltet, wenn eine der Hauptfiguren zur Toilette geht, sich rasiert oder die Brust auf Knötchen abtastet. Körper werden nicht arrangiert und ausgestellt, sondern abgebildet, wie sie sind. Es geht um Wahrhaftigkeit. „Frauen wollen sehen, wie sie sich selber sehen“, sagt Christine Linke, die an der Uni Potsdam forscht und an der Studie zum Geschlechterbild im Fernsehen mitgearbeitet hat. Sexualität wird aus weiblicher Sicht geschildert, als gelegentlich unbeholfener, bisweilen demütigender, manchmal beglückender Akt, nie jedoch als Hochglanz-Choreografie schöngerechneter Körper. „Genau so entspricht es der Realität“, sagt Véronique Sina. Das Stereotyp des Weiblichen wird aufgebrochen. Plötzlich blickt man auch in die Leben von Alleinerziehenden oder schwarzen Mittelschichtsfrauen. Man erfährt etwas über lesbische Partnerschaften oder über beste Freundinnen.

Wie nahm die Entwicklung ihren Anfang? Christine Linke zählt weibliche Nebenfiguren in männlich dominierten Serien auf. Claire Underwood in „House Of Cards“ und Kim Wexler in „Better Call Saul“ seien bereits interessant genug gewesen für eigene Formate, findet sie. Entscheidend war dann die Krise des linearen Fernsehens. Bezahlstationen wie der US-Sender HBO und der Streamingdienst Netflix versuchen, mit innovativen Formaten Zuschauer zu gewinnen. Vor allem Netflix könne auf eine globales, gebildetes Publikum bauen. Wie Umfragen ergaben, sind die meisten Fernsehgucker weiblich. Lena Dunham hat beschrieben, wie sie ihre Idee zu „Girls“ bei HBO präsentierte: „Hier ist eine Serie, die ich sehen möchte, die ich aber noch nie gesehen habe.“ Sie bekam den Zuschlag. Ein weiterer Aspekt sind die erleichterten Produktionsbedingungen. „Broad City“ und „Insecure“ begannen als Eigenproduktionen im Internet. Inzwischen arbeitet die „Broad City“-Schöpferin Abbi Jacobson mit dem „Simpsons“-Erfinder Matt Groening an dessen neuer Serie „Disenchantment“.

Serien wie „Breaking Bad“ variierten den klassischen Verlauf der Heldenreise. Die neuen Serie bedienen dieses Schema nicht länger. „Ich bin damit beschäftigt, zu werden, wer ich bin“, sagt Lena Dunham in „Girls“. Ihre Freundin murmelt: „Wann wird sie begreifen, dass sie nicht werden wird, was sie werden will?“ Es geht um das Scheitern, um persönliches Glück, um Zufriedenheit. Es geht darum, sich eine eigene Realität zu schaffen. „Die Welt ist ein Chaos, ein Irrwitz, eine Zumutung, und sie muss jeden Tag neu erobert, zivilisiert, beschrieben und bestaunt werden“, heißt es in „Girls“. In „Broad City“ machen zwei Freundinnen New York zu ihrem Spielplatz; bei ihnen ist an jedem Tag Zirkus. Männer fungieren darin nur mehr als Toy Boys und Gelegenheitslover. Mr. Right, Mr. Big oder den Märchenprinzen gibt es nicht mehr. „Ich muss dir was sagen, ich bin bisexuell“, sagt ein Mann in der ersten Nacht zu Ilana in „Broad City“. „Das ist wahre Männlichkeit“, entgegnet sie und zieht ihn aufs Bett.

Eine neue Art von Feminismus hat Véronique Sina beobachtet. Dass der bald auch Geschichten auf der großen Leinwand prägt, ist indes nicht zu erwarten. In öffentlich-rechtlichen Sendern und Filmstudios sitzen zu wenige Frauen in entscheidenden Positionen; auf fünf Männer kommt statistisch eine Frau. Bei Kabelsendern und Streamdiensten liegt der Frauenanteil bei 26 Prozent. Außerdem geht der kreative Fluss eher vom Film zu den Serien, sie gelten derzeit als das interessantere Format. Dennoch: „Was in den Serien zu beobachten ist“, sagt Christine Link, „deutet auf gesellschaftlichen Wandel hin.“

Sie meint Gleichberechtigung.

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