Der Filmemacher im Interview Fatih Akin fürchtet Festnahme in der Türkei

Hamburg · In "Aus dem Nichts" erzählt der türkischstämmige Regisseur von einem Neonazi-Anschlag in Hamburg - und wie die Opfer verdächtigt werden. Hauptdarstellerin ist Diane Kruger. In die Türkei reist Akin derzeit nicht.

Ein Foto hängt in Fatih Akins Büro im Hamburger Stadtteil Altona hinter dem Schreibtisch: Diane Kruger in Cannes. Die Hollywood-Schauspielerin mit deutschen Wurzeln ist die Hauptdarstellerin in Akins neuem Film "Aus dem Nichts". Darin erzählt er die fiktive Geschichte einer Frau, deren Mann und Kind bei einem Anschlag von Neonazis sterben. Allerdings interessiert sich die Polizei bald nur noch für die kriminelle Vergangenheit des getöteten Vaters. Kruger spielt die Wut und Ohnmacht der deutschen Witwe mit solcher Wucht, dass sie bei den Filmfestspielen in Cannes als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde.

Hat Deutschlands Umgang mit den NSU-Taten Ihre Rachelust geweckt?

Akin Nach den sogenannten Dönermorden hat die Polizei zehn Jahre ermittelt, doch sie ist zu keinem Ergebnis gekommen, weil sie die Opfer zu Tätern gemacht hat. Das hatte damit zu tun, dass den Ermittlern die Opfer fremd erschienen - Menschen mit türkischen Wurzeln, die mussten "was mit Drogen" zu tun haben. Diese Vorurteile, dieser gesellschaftliche Rassismus hat mich getrieben, meine Geschichte zu erzählen.

Würden Sie sagen, dass Deutschland auf dem rechten Auge blind ist.

Akin Die Ermittlungen zu den Anschlägen des NSU haben das gezeigt. Und das hat mich wütend gemacht - sogar fassungslos.

Sie haben dann den NSU-Prozess beobachtet. Was haben Sie da gelernt?

Akin So ein Prozess ist zunächst mal furchtbar langweilig. Ich habe in dem Gericht gesessen, wollte etwas finden, aus dem ich einen Spielfilm machen kann, aber das auffälligste ist, dass bei Gericht Emotionen überhaupt keine Rolle spielen.

Fürchten Sie sich vor einem Deutschland, in dem eine Rechtsaußen-Partei wie die AfD im Parlament sitzt?

Akin Das hängt alles zusammen. Die AfD ist wegen der Geflüchteten gewählt worden. Die kommen mehrheitlich aus einem islamischen Kulturkreis, der als fremd und bedrohlich wahrgenommen wird. Der Kampf der Kulturen wird uns ja schon seit Jahren prophezeit. Mit dieser Vorstellung kann man Ängste schüren. Das passiert seit den Anschlägen 2001 auf das World Trade Centre in den USA und fällt nun auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden.

Für Ihre Geschichte haben Sie einen deutschen Racheengel erfunden, obwohl die meisten Hinterbliebenen doch türkischer Herkunft sind?

Akin Ich habe an meine eigene Frau gedacht, die ja deutschstämmig ist. Es gab unter den Opfern des NSU auch einen Griechen, der mit einer Deutschen verheiratet war. Vor allem aber wollte ich das Gefühl für Rache nicht ethnisch oder kulturell zuordnen. Es ist ein uraltes Gefühl, das zum Menschen gehört.

Und dann wurde Diane Kruger ihr Racheengel. Kruger soll Sie angesprochen haben, weil sie mit Ihnen drehen wollte. Was hat sie gesagt?

Akin Sie hat gesagt, dass sie gern mal wieder in Deutschland drehen würde. Und wenn, dann gern mit mir. Sie kennt meine Filme aus Frankreich, wo sie lange gelebt hat, und sie mag meine Arbeit. Ich glaube, sie wollte mit einem Regisseur drehen, der eine klare Vision hat und international anerkannt ist.

Einen Hollywood-Star zu besetzen, lockt Zuschauer, birgt aber auch das Risiko, dass der Star zu sehr mit anderen Rollen identifiziert wird.

Akin Jeder Darsteller ist ein Überraschungsei. Du kannst auch mal trotzdem fehlbesetzen, dann muss man umbesetzen - ist mir schon passiert. Oder Du besetzt nicht um, hast aber fehlbesetzt - ist mir auch schon passiert (lacht). Ich glaube aber, dass die Frage, ob ein Schauspieler für eine Figur richtig ist, eine eigene Wahrheit besitzt. Diese Wahrheit setzt sich durch. Diane Kruger ist in Europa von vielen unterschätzt worden. Darum kam die Wahrheit ihres Spiels in diesem Film mit so viel Wucht daher. Ich wusste auch nicht, dass es so gut aufgehen würde.

Haben Sie überlegt, wie die Türken in Deutschland auf ihren Film reagieren werden?

Akin Ich habe schon immer die Filme gemacht, die ich machen wollte. Ich denke nicht daran, was meine Landsleute darüber denken. Manche halten mich für einen Nestbeschmutzer, wegen meiner Darstellung von Frauen oder meines Films über die Morde an den Armeniern. Darauf nehme ich keine Rücksicht.

Reisen Sie derzeit in die Türkei?

Akin Nein. Das Risiko wäre zu groß, festgenommen zu werden.

Haben Sie Kontakt zu Künstlern dort?

Akin Ja, viele Kontakte. Ich arbeite auch an diversen Filmprojekten, sowohl mit Künstlern aus der Türkei, die jetzt im Exil in Deutschland leben, als auch mit Leuten, die dort verankert sind und zum Establishment gehören. Mit ihnen mache ich eben zurzeit unpolitische Filme, die die Regierung nicht attackieren. Zum Beispiel möchte ich mit türkischen Partnern Sabahattin Alis Roman "Die Madonna im Pelzmantel" verfilmen. Aber das werde ich dann wohl eher hier im Studio drehen.

Wieso ist es zu einem so tiefen Bruch zwischen Deutschland und der Türkei gekommen?

Akin Das lässt sich in wenigen Worten nicht erklären. Aber bei aller Liebe zur Türkei muss man wohl sagen, dass es auch dort einen extrem weit verbreiteten Rassismus gibt. Erdogan, von dem ich gar nicht weiß, wo er politisch wirklich steht, spielt mit den vorhandenen Ressentiments. An der Situation sind allerdings auch die Eliten schuld, die das Land vorher regiert haben.

Inwiefern?

Akin Die alten Eliten haben stark in Klassen gedacht. Das Volk, die einfachen Leute, waren für sie Hinterweltler, die man ruhig ausbeuten konnte. Und diese vermeintlichen Hinterweltler sind jetzt an der Macht und rächen sich.

Kann Filmkunst dem Populismus weltweit etwas entgegensetzen?

Akin Natürlich. Filme regen zu Diskussionen an, in der Kneipe, zuhause, wo auch immer. Diese unscheinbaren Gespräche verändern das Klima, in dem wir leben. Darum ist es auch so wichtig, ungemütliche Filme zu drehen. Sie müssen im Schuh drücken wie ein Stein.

(dok)
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