„Die Fotografin“ Die Frau in Hitlers Badewanne

Ein Herzensprojekt von Kate Winslet: „Die Fotografin“ erzählt das Leben der legendären Kriegsfotografin Lee Miller. Zu erleben ist eine packende Produktion über eine faszinierende Persönlichkeit. Die Schauspielerin übernimmt die Hauptrolle selbst.

Kate Winslet als Lee Miller.

Foto: dpa/Kimberley French

Elisabeth „Lee“ Miller (1907–1977) hat viele Leben gelebt, und die meisten davon sind schon vorüber, wenn die Handlung von Ellen Kuras filmischer Hommage an eine der wichtigsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts einsetzt. Von der Straße weg wurde sie 1926 in New York als Fotomodell für „Vogue“ und „Vanity Fair“ gecastet. Drei Jahre später hatte sie genug von der Modewelt und reiste nach Paris, um sich der dortigen Surrealisten-Szene anzuschließen. Mit Man Ray realisierte sie zahlreiche Fotoprojekte und machte sich 1932 als Fotografin in New York selbstständig. „Ich war das Model. Ich war die Muse. Ich war die Naive. Mit all dem war ich fertig“, erzählt Lee (Kate Winslet) dem jungen Interviewer 1977 in ihrem Wohnzimmer.

Mit ihrer Erzählung gleitet die Kamera zurück ins Jahr 1938, als Lee in Südfrankreich mit einigen Freundinnen Urlaub macht und über die Pariser Kunstszene tratscht. Über dem mediterranen Lebensgefühl der Boheme liegen schon die Schatten des herannahenden Krieges, der Lees Entscheidung beflügelt, frisch verliebt mit dem Maler Roland Penrose (Alexander Skarsgård) nach London zu ziehen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wird sie als Fotografin von der britischen „Vogue“ unter Vertrag genommen, um die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag der Frauen in London zu dokumentieren. Aber die Arbeit an der Heimatfront reicht Miller nicht aus. Sie will direkt aus dem Herzen des Krieges auf dem europäischen Festland berichten.

Die britische Armee weigert sich, ihr eine Zulassung als Kriegsberichterstatterin an der Front zu geben. Als gebürtige Amerikanerin gelingt es ihr schließlich 1943 mit den US-Truppen als eine der ersten weiblichen Kriegskorrespondentin nach Frankreich zu kommen. Ihre Bilder von der Schlacht um St. Malo, aus den Verwundeten-Lazaretten und der Befreiung von Paris gehen um die Welt. Ihre Fotos zeigen die menschlichen Folgen des Krieges aus der intimen Nahperspektive und oft auch aus der Sicht von Frauen. Lee arbeitet eng mit dem Kollegen des „Life“-Magazin David Scherman (Andy Samberg) zusammen.

Erfrischend ist der Blick des Filmes auf diese besondere Arbeits- und Freundschaftsbeziehung, die von Zuneigung und Respekt gekennzeichnet ist, ohne dass daraus ein Zwang zur Romanze entsteht. Mit Scherman fährt Miller 1945 über die deutsche Grenze. In Dachau und Buchenwald gehören sie zu den ersten Kriegskorrespondenten, die in den befreiten Konzentrationslagern fotografieren dürfen. Der Film begleitet Miller nur bis zu den Waggons, in denen die toten Häftlinge liegen. Sie bleibt nah an der Fotografin, die hinaufklettert, um aus dem Inneren die entsetzten Gesichter der amerikanischen Soldaten zu fotografieren, die in dem Eisenbahnwagen vergeblich nach Überlebenden suchen.

Millers Originalaufnahmen der Baracken, Krematorien und Leichenberge werden danach als Schwarz-Weiß-Abzüge in der Hand des jungen Mannes gezeigt, der die Fotografin rückblickend zu den Erlebnissen befragt. Es sind die wichtigsten Bilder ihres Lebens, aber die Redaktion der „Vogue“ weigert sich zunächst, die Dokumente des Holocaust während des alliierten Siegestaumels zu veröffentlichen. Anders Millers Porträt in Hitlers Münchner Privatwohnung am Prinzregentenplatz 16. Heimlich schleicht sich Lee ins Badezimmer, zieht die verschlammten Stiefel und die Uniform aus und legt sich mit Führerporträt im Hintergrund in dessen Badewanne. Ein inszeniertes, subversives Bild des Sieges, das nur wenige Stunden nach Millers Besuch in Dachau aufgenommen wurde.

Regisseurin Kuras rückt immer wieder Millers Aufnahmen ins Zentrum der Erzählung, macht die Bilder zum Leitfaden eines Biopics, das mit seiner retrospektiven Rahmenhandlung zunächst etwas konventionell daher kommt. Aber der Blick auf die gealterte Fotografin gewinnt zunehmend an Bedeutung, weil sich hier zeigt, wie die Kriegserfahrungen neben frühen Kindheitstraumata ihr späteres Leben, ihre seelischen Qualen und ihren Alkoholismus nachhaltig geprägt haben.

Am Ende wirft diese Erzählebene auch ein Licht auf die schwierige Beziehung zwischen Miller, die nicht über ihre Kriegserfahrungen sprechen wollte, und ihrem Sohn Anthony, der eine Biografie seiner Mutter schrieb und auch an der Arbeit an diesem Film eng beteiligt war.

Kate Winslet, die „Die Fotografin“ auch produziert und seit 2015 als Herzensprojekt vorangetrieben hat, kann auf beiden Erzählebenen vollkommen überzeugen. Sie entwirft das kraftvolle Porträt der einflussreichen Fotografin, das sich durch seine emotionale Differenziertheit den klassischen Starke-Frauen-Klischees gezielt entzieht und die seelische Komplexität seiner Hauptfigur umsichtig ausleuchtet.