Kinostart "Fluch der Karibik 4" Captain Sparrow im Jungbrunnen

(RP). Die erfolgreiche Reihe "Fluch der Karibik" wird fortgesetzt: Am Donnerstag startet "Fremde Gezeiten", das vierte Kinoabenteuer mit Johnny Depp als Jack Sparrow. Der Film ist kurzweiliger als sein Vorgänger, eine Wucht ist Penélope Cruz als frühere Geliebte des eigenwilligen Helden.

Fotos aus Teil vier von "Pirates of the Carribean"
18 Bilder

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Den nächsten Teil produzieren sie vermutlich ohne Drehbuch, das wäre angemessen für diese Reihe. Die "Fluch der Karibik"-Filme aus den Disney-Studios haben eine offene Form, das macht sie so attraktiv. Ein solches Maß an ästhetischer Freiheit gab es im Blockbuster-Kino bislang nicht. In der neuesten Produktion etwa, die im Gegensatz zum langweiligen dritten Teil wieder gelungen ist, taucht Keith Richards als Vater von Captain Jack Sparrow auf. Der Gitarrist der Rolling Stones ist nicht verkleidet, er geht ja auch ohne Maske als Piraten-Papa durch. Der Film-Sohn fragt: "Warst du schon mal im Jungbrunnen?" Richards zeigt auf seine Nase und entgegnet: "Sieht mein Gesicht so aus, als sei ich schon mal im Jungbrunnen gewesen?"

Darum geht es also in "Piraten der Karibik — Fremde Gezeiten": die Suche nach dem Quell der Jugend. Die Handlung hält keiner Überprüfung stand, was aber den Reiz dieser Filme ausmacht. Der Wahnsinn hat Methode. Sparrow soll im Auftrag des englischen Königs Wasser besorgen, das ewiges Leben sichert, und auf dem Weg zum sagenhaften Ort geschieht viel Unerhörtes. Der Meerjungfrauen-Mythos etwa wird im Handstreich umgedeutet; sie sind Vampire in Poseidons Reich, bissig und fies. Und Sparrow trifft auf Penélope Cruz, die umwerfende frühere Geliebte des Kapitäns: femme brutale. Die Dialoge der beiden treiben den Film voran, sie will noch, er nicht, und als er sie auf einer Insel aussetzt, sagt sie: "Ich bin schwanger von dir." Er lallt: "Du weißt, dass das nicht sein kann." Sie: "Du warst betrunken." Und er guckt so, wie nur er gucken kann, und dann ist die Szene zu Ende.

Tanzen, Pointen, Travestie

Die Disney-Produktionen "Piraten der Karibik" als Abenteuerfilme zu bezeichnen, würde von unangemessener Ernsthaftigkeit zeugen: Sie sind Travestie, Revue, Jux. Sie greifen aus in die Wirklichkeit, Penelope Cruz war ja während der Dreharbeiten tatsächlich schwanger; sie überwinden das Formelkino, und wenn der Funkenflug der Zitate und Anspielungen doch einmal zu toll wird, beginnt einfach die nächste Fechtszene. Denn auch das sind die "Piraten der Karibik": Tanzfilme, und jede Choreographie endet mit einer Pointe. Insofern gehören die ersten 15 Minuten der aktuellen Lieferung zum besten dieser Reihe. Sparrow versucht als Richter verkleidet einen Kameraden aus dem Gefängnis zu befreien, und die Flucht ist feinstes Bewegungstheater. Das Schild eines Pubs bietet endlich Rettung: Sparrow verbirgt sich dahinter, den Kopf im Busen der aufgemalten Portalsfigur.

Als die Studiobosse 2003 den just abgedrehten Auftakt-Film absegnen wollten, soll sie der Schlag getroffen haben: eine Geisterbahnfahrt, aber niemals ein Hit, meinten sie. Sie täuschten sich, und heute danken sie Johnny Depp, dass er diesen sympathischen Kasper mit dem verirrten Sexappeal erfunden hat: Die ersten drei Teile spielten 2,7 Milliarden Dollar ein, ein gewaltiger Erfolg. Kapitän Jack Sparrow wurde zum unwahrscheinlichsten Helden des Kinos. Für einen Piraten sind seine Augen zu stark geschminkt, er kämpft nicht, sondern wankt durch seine Abenteuer, und er hat nicht mal mehr ein Schiff. Eigentlich ist Sparrow mehr Hippie denn Freibeuter, er ist der stets angeschickerte Vorsteher eines gesetzlosen Märchenreichs, dessen Traumzeit vage an das historisch verbürgte späte 17. und frühe 18. Jahrhundert erinnert, als absolutistische Großmächte um die Herrschaft vor Mittelamerika stritten.

Alles hängt hier an Depp, der 47-Jährige bricht mit den Vorgaben des Genrefilms, treibt die Uneindeutigkeit auf die Spitze. Vielleicht ist er der mächtigste Schauspieler Hollywoods. Dass ihm solcher Freiraum gewährt wird, wäre der Beweis. Er chargiert, veralbert, aber er parodiert nicht, er schafft Neues. Sparrow gehört ihm, die Leinwand wird zur Kinderstube seines heiteren Größenwahns. Die Verblüffung indes, mit der man diese Vorstellung zum ersten Mal sah, wich in den nächsten beiden Teilen der Ermüdung. Die dritte Lieferung war gefühlte anderthalb Stunden zu lang.

Wenn nun nach vier Jahren eine weitere Fortsetzung kommt, birgt das ein Risiko: Funktioniert es, oder ist das Prinzip Jack Sparrow erledigt? Die Produzenten passten das Unternehmen an die Zeit an: Statt Gore Verbinski führt Rob Marshall Regie. Die Wahl fiel auf ihn, weil er 2003 für "Chicago" fünf Oscars gewann, außerdem ist er Spezialist für Kino-Musicals. Marshall lässt Depp machen, und als Verschnaufpause für den mal tremolierenden, mal demolierenden Darsteller inszeniert er rasantes Hieb- und Stich-Ballett. Plan erfüllt.

Jack Sparrow verändert das Kino, indem er den Begriff des Helden neu ausrichtet. Er agiert zwischen Wahn und Witz, ein hysterisches und hypochondrisches Männchen, ein verspulter Zausel, ein Irrlicht, eine halbe Portion. Sein Stilmittel ist der gelassene Übermut, und eine Szene aus Episode eins bringt den unerschütterlichen Optimismus dieser Figur auf den Punkt: Ein Soldat des Königs schüttelt den Kopf über Sparrow, der vor ihm tippelt, die Kuppen der Zeigefinger an die Spitzen der Daumen legt und die Perlen an den Zöpfen seines Bartes klimpern lässt. "Sie sind der schlechteste Pirat, von dem ich je gehört habe", sagt der Mann in Uniform. Sparrow antwortet: "Aber sie haben von mir gehört."

(RP)
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