Besuch auf der Berlinale Wettbewerb nimmt wieder Fahrt auf

Berlin (RPO). Bei der Berlinale sind alle gleich, das gilt auch für die Mitglieder der Jury, die über die Vergabe der Bären entscheidet. Da steht man also morgens um kurz vor neun vor dem Berlinale-Palast in der Schlange, und hinter einem trinkt Nina Hoss wegen der Kälte dick vermummt ihren Kaffee von Starbucks.

Gestern wurden sie und alle anderen für die tägliche Warterei belohnt, da lief als erster Film des Tages "Nadir and Samin. A Seperation". Das ist ein iranischer Film, und er ist eine der besten und packendsten Produktionen dieser Festspiele. Ein Mann hat die Frau, die seinen an Alzheimer leidenden Vater pflegt, aus der Wohnung geworfen.

Sie hatte das Haus kurz verlassen, den Kranken so lange am Bett festgebunden, und der Mann kam natürlich vor der Pflegerin zurück. Die Frau verliert bei der Aktion das Kind, mit dem sie schwanger ist, und verklagt den Mann. Es entwickelt sich ein Thriller, die Hintergründe beider Parteien werden offenbar, das Gericht soll eine Entscheidung fällen, und am Ende steht die Frage: Was ist die Wahrheit? Das Ganze endet mit einer Szene, die so stark ist, dass sie allein einen Preis verdient hätte. Die Jury wird den Film sicher nicht übergehen, wenn am Samstag die Auszeichnungen vergeben werden.

Der Wettbewerb hat nach einem Durchhänger am Wochenende wieder an Fahrt aufgenommen. Der türkische Film "A Grand Deziar", der soeben lief, erzählt eine sehenswerte Geschichte von zwei Männern, die die Tochter eines Freundes vorübergehend in ihrer WG aufnehmen. Natürlich verlieben sich die beiden in das Mädchen, aber aus Anstand beherrschen sie sich. Die beste Szene spielt am Meer, dorthin sind die Kumpels gefahren, nachdem das Mädchen zum Vater zurück ist. Sie liegen in einem Doppelzimmer im Hotelbett, sie haben einander eben gestanden, dass sie verliebt sind, und in dem Moment hört man aus dem Nachbarraum den Soundtrack der Leidenschaft. Da müssen beide lachen. Noch eine gelungene Geschichte aus der Gegenwart also.

Völlig aus der Zeit gefallen wirkt dagegen das neue Werk des ungarischen Regisseurs Bela Tarr. Ein wuchtiger und faszinierender Film, harte Kost indes, schwarzweiß, das erste Wort wird nach 21 Minuten gesprochen, die erste Einstellung dauert fünf Minuten. Es geht um das Pferd, das Nietzsche in Turin umarmt haben soll, bevor er ins Delirium fiel; es wurde von seinem Herrn misshandelt, und der Philosoph umarmte es, um es zu schützen. Tarr nähert sich nun dem Besitzer des Pferdes, zeigt dessen Alltag auf dem von wütendem Wind umtosten Land, und die Gefühle des Bauern zu seiner Tochter sind so karg und spröde wie die Bilder.

Gleich ist Moritz Bleibtreu als SS-Offizier in Wolfgang Murnbergers "Mein bester Feind" zu sehen. Für den Abend habe ich mir "Dreileben" vorgenommen, die Film-Trilogie von Petzold/Graf/Hochhausler, drei Mal 90 Minuten über einen Sommer in einem Dorf in Thüringen. Morgen am späten Abend wird erstmals die restaurierte Fassung von "Taxi Driver" im Friedrichstadtpalast gezeigt.

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