Berlinale-Blog 2012 Mein geheimer Favorit

Berlin · Also reden wir über den Favoriten. Wenn man sich acht Tage lang durch ein Festival treiben lässt, und mindestens seit acht Tagen Menschen darüber disktuieren hört, wer denn dieses Jahr der Favorit sein könnte, wird man innerlich ein wenig rebellisch. Und dann wählt man ganz allein für sich einen Film, dem man diesen Goldenen Bären geben würde. Weil er ihn verdient hat. Und vielleicht unbeachtet bleiben wird.

Das sind die Filme der Berlinale 2012
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Das sind die Filme der Berlinale 2012

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Mein Favorit ist also nicht Christian Petzolds "Barbara", der nun schon seit Tagen als der Gewinner gehandelt wird. Und auch nicht Matthias Glasners "Gnade", den nun ein paar Großkritiker total originell als späten deutschen Kandidaten auf ihrer Liste nach ganz oben geschoben haben. Als sei das hier eine deutsche Veranstaltung. Und als habe es nicht dringlichere Filme aus anderen Ländern gegeben.

Mein Favorit ist "Just The Wind" von Bence Fliegauf. Dieser ungarische Film über eine Roma-Familie, die in einer verkommenen Siedlung in einer Art Angststarre lebt. Zwei Nachbarfamilien sind bereits von Rassisten getötet worden. Es gibt jetzt eine Art Bürgerwehr der Roma im Wald. Aber der Junge, das Mädchen und ihre Mutter wissen, dass dieser Versuch hilflos ist. Dass sie nicht entkommen werden, wenn sie die nächsten Opfer sein sollen. Sie wollen ja ohnehin zum Vater nach Kanada, sie müssen nur noch ein paar Monate durchhalten, bis das Geld zusammen ist. Und so leben sie ihren Tag als wäre nichts, gehen zur Arbeit - Müllsammeln am Straßenrand - in die Schule, zum Baden an den See und rücken abends im Bett fest aneinander.

Das beeindruckende an diesem Film ist, dass er nicht meldodramatisch ist und auch das soziale Elend, das er zeigt, nicht ausstellt. Die Kamera ist nur sehr nah dabei, schaut erschütternd ruhig, was die drei Hauptfiguren einen Tag lang tun. Die werden von Laiendarstellern gespielt, mit unglaublicher Verschlossenheit, wie in Abwehrhaltung und doch wirkt genau das viel intensiver als so mancher krampfhafte Versuch, die Kamera für sich zu gewinnen.

Dieser Film vermeidet alles pathetische, will den Zuschauer zu nichts zwingen und weckt genau darum echtes Mitgefühl. Es wäre so toll, wenn dieser Film in die deutschen Kinos käme. Er hat nämlich keineswegs nur den neuen Rechten in Ungarn etwas zu sagen. Ein Bär würde da natürlich helfen.

Mike Leigh, haben Sie gehört? Morgen Abend kommt die Jury endlich aus der Deckung. Ist ab 19 Uhr auf 3sat zu sehen und wird diesmal wirklich spannend. Also zum Abschluss eine Fernseh-Empfehlung, tja, nach acht Tagen Berlinale ist man tatsächlich erschöpft.

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