Analyse der Preisträger Berlinale meldet sich als politisches Festival zurück

Berlin · Der iranische Filmemacher Jafar Panahi bekommt für seinen heimlich gedrehten Film "Taxi" den Goldenen Bären für den besten Film. Als beste Schauspieler werden Charlotte Rampling und Tom Courtenay für das stille Ehedrama "45 Years" ausgezeichnet.

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Das sind die Gewinner der Berlinale 2015

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Foto: dpa, bsc

Der deutsche Thriller "Victoria" wird für seine Bildästhetik geehrt. Diese Jury hat genau hingesehen: Mit überraschenden, souveränen Entscheidungen ist die 65. Berlinale zu Ende gegangen. Den Goldenen Bären für den besten Film schickt die Jury unter Vorsitz von Darren Aronofsky zu einem verfolgten Künstler in den Iran. Regisseur Jafar Panahi darf in seiner Heimat nicht arbeiten, er darf den Iran nicht verlassen - zum Schweigen gebracht hat ihn das nicht.

Er hat heimlich einen Film in einem Taxi gedreht, hat sich selbst ans Steuer gesetzt, ist durch Teheran gefahren und hat Menschen einsteigen lassen, die von der Wirklichkeit ihres Lebens in einer Diktatur erzählen. Entstanden ist jedoch kein bedrückender Film, sondern eine fast heitere Episodenfolge, die raffiniert mit Fiktion und Wirklichkeit spielt und eine Liebeserklärung ist: an die Menschen im Iran und an das Kino. Es ist eine gute Entscheidung, diesen Film — und den Mut eines Regisseurs mit den höchsten Ehren der Berlinale auszuzeichnen.

Neben all den Beschneidungen seiner Ausdrucksmöglichkeiten als Künstler droht Panahi daheim auch noch eine Haftstrafe. Er hat viel riskiert, als er seinen heimlich gedrehten Taxi-Film, eingebacken in einen Kuchen, nach Berlin schmuggeln ließ, - genau wie die Menschen, die in seinem Film auftreten, darunter eine Menschenrechtsaktivistin, die sich für politische Häftlinge engagiert. Mit der Bärenvergabe an Panahi meldet sich die Berlinale als politisches Festival zurück.

Aber die Jury musste sich nicht zwischen politischer Botschaft und Qualität entscheiden, Panahi vereint in "Taxi" beides: politisches Bekenntnis und Filmkunst. Freuen darf sich auch einer der drei deutschen Teilnehmer am Wettbewerb: Sebastian Schipper ist für sein gewagtes Experiment, einen Thriller am Stück, ohne Schnitt, in Echtzeit abzudrehen, zwar nicht als Regisseur geehrt worden. Dafür aber der Mann, der dieses Experiment mit Schipper ermöglicht und auch zu einem ästhetischen Genuss gemacht hat: Der norwegische Kameramann Sturla Brandth Grøvlen bekommt den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung.

Auch mit der Vergabe der restlichen Silbernen Bären überrascht die Jury: Als beste Schauspieler hat sie zwei Darsteller aus demselben Film geehrt: die Briten Charlotte Rampling und Tom Courtenay für ihre stille, intensive Darstellung in dem Ehedrama "45 Years". Der etwas bieder inszenierte Film gewinnt durch die Weisheit und Präzision der beiden Hauptdarsteller große Wirkung.

Es wäre ein Leichtes gewesen, diesen Film zu übergehen, die Schauspieler aber gleichermaßen wertzuschätzen, ist eine kluge Entscheidung. Schade nur, dass dadurch etwa Sebastian Schippers Darsteller keine gesonderte Ehrung erhielten, man hätte es ihnen gegönnt. Außerdem hat die Jury zwei Regiebären vergeben und damit zwei weitere kleine Produktionen geehrt, die Aufmerksamkeit verdienen: Die Polin Malgorzata Szumowska bekommt einen Regiebären für ihren klugen, sensiblen Film "Body" über Magersucht und die tiefenpsychologischen Folgen des Systemwechsels in ihrem Heimatland.

Und der Rumäne Radu Jude hat mit "Aferim!" einen schwarz-weiß Film gedreht, der im 19. Jahrhundert in der Walachei spielt und den Ursprüngen des Rassismus in seiner Heimat nachgeht. Das klingt sperrig, doch Radu inszeniert die Zeit authentisch und entwickelt die Brisanz seines Dramas langsam, aber wuchtig. Den Großen Preis der Jury holte mit dem chilenischen Missbrauchs-Drama "El Club" (Der Club) ebenfalls ein mutiger Film, der mit der scharfen Waffe des schwarzen Humors das Versagen der katholischen Kirche als moralische Institution anprangert. Das geschieht mit schmerzhafter Drastik, und großer Eindringlichkeit. Ein Film, der einem lange nachgeht. Und dass dann auch noch der erste Wettbewerbsteilnehmer aus Guatemala in Berlin Wertschätzung erfuhr, ist ebenfalls eine richtige Entscheidung der Jury: Das Drama "Ixcanul" (Vulkan) bekommt den Alfred-Bauer-Preis — und damit vielleicht auch die Chance, außerhalb Guatemalas Verleiher zu finden.

Da mag man auch vergeben, dass die Jury den Silbernen Bär für das beste Drehbuch an den chilenischen Regisseur Patricio Guzmán gegeben hat, obwohl dessen Dokumentation "Der Perlmuttknopf" mit allzu großer Langatmigkeit von der Ermordung der Ureinwohner Chiles berichtet. Da sollte wohl eher die Relevanz des Themas als die ästhetische Qualität der Doku unterstrichen werden. Schade auch, dass Peter Greenaway für seine wilde, gewagte Filmbiografie "Eisenstein in Guanajuato" keine Ehrung erfuhr.

Wahrscheinlich war der Jury die Darstellung des großen russischen Regisseurs als kindisches Genie dann doch zu einseitig. Dass andere Regiestars aus dem Wettbewerb wie Werner Herzog und Terrence Malick leer ausgingen, hat seine Richtigkeit und ist Beleg für die Unbestechlichkeit der Jury. Der hatte neben Aronofsky unter anderem die französische Darstellerin Audrey Tautou, der deutsche Schauspieler Daniel Brühl und der amerikanische Produzent Matthew Weiner angehört. Sorgsam haben sie entschieden — und der 65. Berlinale ein Happy End beschert.

(RP)
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