Berlinale Berlinale gönnt sich zum Auftakt Nostalgie

Berlin · Mit „My Sallinger Year“ hat das Festspiel beschaulich begonnen. Festivals als besondere Kinoereignisse boomen in Deutschland.

Berlinale 2020: Die Stars bei den 70. Filmfestspielen in Berlin - Fotos
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Die Stars bei der Berlinale 2020

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Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

Ich wollte etwas Besonderes werden. Mit diesem Vorsatz bricht Studentin Joanna im Eröffnungsfilm der Berlinale nach New York auf. Sie will Schriftstellerin werden, landet aber als Sekretärin bei der berüchtigten Literaturagentin Margaret, von Sigourney Weaver hinreißend herrisch und doch warmherzig gespielt. Eine Emanzipationsgeschichte beginnt: Die junge Frau erobert das Herz der alten – und ist irgendwann reif für ihren eigenen Weg.

Mit einem nostalgischen Ausflug in eine vermeintlich harmlosere Vergangenheit hat die 70. Berlinale unter der neuen Leitung von Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian begonnen. „My Salinger Years“ spielt im New York der 1990er Jahre. In der Literaturagentur klappern die Schreibmaschinen, scheue Autoren werden vor Fans geschützt, die brave Briefe schreiben, und aufstrebende Frauen müssen sich lange demütig zeigen, ehe sie das erste Manuskript betreuen dürfen. Selbst wenn der Boss eine Frau ist.

Ein beschaulicher Film, mit dem man gern in den Literaturbetrieb von gestern reist, doch der Gegenwart hat dieser Auftakt wenig zu sagen. Eher wirkt er wie ein unschuldiges Luftholen, bevor es in den nächsten Tagen um härtere Themen geht.

Denn eigentlich versucht die Berlinale, sich traditionell als das politische der großen Filmfestivals zu positionieren. Und politisch hatte das Festival auch begonnen, als der britische Schauspieler Jeremy Irons beim ersten Auftritt als Präsident der Wettbewerbsjury eine Erklärung abgab. Darin rief er zu Toleranz auf und beteuerte seine Unterstützung für die Frauenbewegung. Allerdings ging es bei diesem Statement um Schadensbegrenzung. Irons Berufung war wegen früherer Aussagen etwa zu Abtreibung und Homo-Ehe in die Kritik geraten. Nun soll erst mal Ruhe sein um die Personalie und die Filmkunst an erste Stelle stehen.

Dafür strömt schließlich das Publikum nach Berlin. Mehr als 330.000 Tickets wurden verkauft. Damit steht die Berlinale an der Spitze einer Entwicklung: Filmfestivals boomen. 400 gibt es inzwischen in Deutschland. Das reicht von den anspruchsvollen Oberhausener Kurzfilmtagen bis zu Spezialfestivals für Fantasy-, Horror-, Trickfilmfans oder jüdischen, italienischen, türkischen Filmwochen.

Streamingdienste mit ihrem gewaltigen Angebot für daheim sind eine starke Konkurrenz. Zwar konnte der Abwärtstrend bei den Besucherzahlen 2019 gestoppt werden. Im Vergleich zum Tiefpunktjahr 2018 kauften im vergangenen Jahr wieder 12,6 Prozent mehr Menschen ein Kinoticket. Die Besucherzahl stieg auf 118 Millionen. Im Fünfjahresvergleich ist das aber immer noch ein Rückgang um 2,2 Prozent.

Festivals aber behaupten sich – und stärken das Kino als Ort fürs wahre Filmerlebnis. Das habe mit dem Ereignischarakter zu tun, sagt der Kommunikationswissenschaftler Thomas Wiedemann von der Uni München. Festivals sind zeitlich begrenzt, locken eine spitze Zielgruppe, bringen Stars zum Publikum, stoßen Debatten über Erzählweisen des Kinos und gesellschaftliche Fragen an. „Es gibt ein Bedürfnis nach Austausch“, sagt Wiedemann.

Das bestätigt auch der Düsseldorfer Programmkino-Betreiber Kalle Somnitz. Ein Surfer-Film mit dem Filmemacher als Gast füllt ihm auch in einer Spätvorstellung das Kino. Ähnlich gefragt sind Reisefilme – wenn die Abenteurer ihr Werk selbst vorstellen. „Natürlich stellt das Kinobetreiber vor Herausforderungen, weil Gäste zu Filmvorführungen auch betreut werden müssen“, sagt Somnitz. Doch auch er spürt das Bedürfnis des Publikums, über das Gesehene zu sprechen. Gerade im digitalen Zeitalter ist das Kino also gefordert, seine Qualität als analoger Begegnungsort auszuspielen.

Festivals wie die Berlinale sind zudem ein Wirtschaftsfaktor. Nicht nur als Branchentreffen, sondern auch als Gütesiegel. Filmemacher, die eine Arbeit in Berlin zeigen dürfen, werden manchmal auf bis zu 50 Festivals weitergereicht. Das bringt Aufführungseinnahmen von maximal 100.000 Euro, empfiehlt für weitere Förderung und ist für den Kunstfilm überlebenswichtig. So ist die Teilnahme an Festivals wie der Berlinale ein heißes Gut geworden. Ob sich das für den Zuschauer lohnt, werden die nächsten Tage zeigen.

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