Berlin Berlinale setzt auf Kunst

(RP). Mit dem chinesischen Film "Apart Together" über ein Paar, das sich nach 50 Jahren politisch bedingter Trennung wiedersieht, hat die 60. Berlinale begonnen. Auf dem roten Teppich überraschend wenig Hollywood-Stars.

Berlinale 2016: Eröffnung mit George Clooney und Amal auf dem roten Teppich
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George und Amal Clooney eröffnen die Berlinale 2016

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Foto: dpa, pg sab

Und dann kommt die Liebe ihres Lebens einfach die Straße herunter. Dieser Mann, der vor 50 Jahren nach Taiwan floh, seine schwangere Frau zurückließ und ihr in all den Jahren nicht mal ein Lebenszeichen senden konnte. Mit einer Gruppe ehemaliger Soldaten kehrt er in seine Heimatstadt Shanghai zurück — und besucht die Frau, die er nie vergessen konnte. Doch Qiao Yu'e hat inzwischen eine neue Familie, Kinder, Enkel und einen Ehemann, von dem sie sagt, er sei "ein guter Mann", anständig, freundlich. Und der bleibt dann auch noch freundlich, als der Geliebte von früher nicht nur einen harmlosen Besuch abstattet, sondern die Frau, die er einst verließ, mit zu sich nach Taiwan nehmen will.

Mit einem chinesischen Film, der vordergründig ein Familiendrama ist, doch eigentlich ein politisches Werk, in dem sich sacht, wie aus sehr weiter Ferne, auch die deutsche Teilungsgeschichte spiegelt, hat gestern Abend die 60. Berlinale begonnen. Eine mutige Entscheidung, denn auf Hollywood-Stars zur Eröffnung hat das Filmfestival im Jubiläumsjahr damit weitgehend verzichtet.

Die werden zwar in den nächsten Tagen noch kommen — Jessica Alba etwa, Penélope Cruz, Kate Hudson, Leonardo DiCaprio, Ben Kingsley oder Ewan McGregor. Doch den Auftaktabend mit der größten internationalen Beachtung hat Berlinale-Chef Dieter Kosslick einem Außenseiter geschenkt. Und das birgt wohl eine Botschaft: Die Berlinale will weiter das politische unter den großen europäischen Festivals sein und Mut zur Sperrigkeit beweisen. Außerdem ist Wang Quan'an eine Berlinale-Entdeckung. 2007 gewann er für sein humorvoll-herbes Drama "Tuyas Hochzeit" den Goldenen Bären. Indem die Berlinale ihn nun wieder in den Wettbewerb holt, gar das Festival eröffnen lässt, verkündet sie selbstbewusst, dass dieser Regisseur kein Ein-Hit-Wunder war, sondern weiter internationale Beachtung verdient. Und dass die Berlinale folglich ein Entdecker-Festival ist mit sicherem Instinkt für Qualität.

Tatsächlich gelingt Quan'an auch in seinem neuen Film "Apart Together" wieder diese einnehmende Mischung aus Witz und Melancholie. Der Regisseur erzählt unaufdringlich, schürt keine Emotionen, sondern lässt sie entstehen und macht den Zuschauer damit zum Beobachter, nicht zum Voyeur. Man ist nicht euphorisch nach diesem Film, aber dankbar, dass man die Menschen darin kennenlernen durfte. Und das ist viel.

Schade trotzdem, dass gestern Darsteller wie Renée Zellweger, Mitglied der Jury, schon zu den prominentesten Vertretern Hollywoods auf dem roten Teppich zählte. Schließlich lebt ein Festival auch vom Glanz, den ihm gefeierte Schauspieler schenken, wenn sie auch nur elegant gekleidet ins Kino stolzieren. Immerhin verkündete Zellweger bei der Vorstellung der Jury, dass sie geschmeichelt sei, berufen worden zu sein und sich aufs "Schwierige-Filme-Gucken" freue.

Ähnlich diplomatisch blieb auch Jury-Präsident Werner Herzog, der ja im Ruf steht, in Deutschland verkannt zu werden, seit 15 Jahren in den USA lebt und nun mit seinem Antritt bei der Berlinale zumindest auf Zeit in seine Heimat zurückgekehrt ist. Doch dazu kein Wort. Herzog, der sicher zu den exzentrischsten, waghalsigsten, vielleicht auch wahnsinnigsten deutschen Regisseuren gehört, gab sich väterlich-freundlich, wurde von einem Journalisten gar als "Mr. President" angesprochen und versetzte nur Kollegen James Cameron einen Hieb. Dessen 3D-Film "Avatar" sei in seinen Effekten sicher überzeugend, an der Geschichte aber hapere es. Doch selbst diese Spitze brach Herzog dann sofort wieder und beteuerte, dass die 3D-Technik natürlich ein "phänomenales Instrument" sei. Nur fließe bisher noch zu viel kreative Energie in digitale Effekte und zu wenig in die Geschichten, das aber spiele langfristig Künstlern wie ihm nur in die Hände.

Milde Wohlgelauntheit also bei der Berlinale-Jubiläumsausgabe. Auch unter den Filmhändlern, für die das Festival das erste Branchentreffen des Jahres ist. Von deren Parkett, dem European Film Market (EFM), kommen erste positive Signale. Aussteller aus 48 Ländern sind diesmal in Berlin dabei, die Zahl der angemeldeten Händler ist laut EFM stabil. Wieder sind Vertreter der Frankfurter Buchmesse angereist, die den Handel mit Drehbuchstoffen beflügeln sollen. Außerdem fasst man beim Geschäftemachen das Thema 3D keineswegs mit spitzen Fingern an, zahlreiche Vorführräume auf dem Filmmarkt sind 3D-tauglich.

Doch wie die Berlinale zu ihrem 60. Jubiläum tatsächlich dasteht, können erst die nächsten Tage zeigen, denn die Qualität im Wettbewerb muss stimmen, wenn die Berlinale auch weiterhin als Wächterin der Filmkunst gelten will. Den Anspruch hat sie mit diesem Auftakt ein weiteres Mal erhoben.

(RP)
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