Prominenz bei der Berlinale Französische Stars sorgen für Glamour

Berlin · Bei der Berlinale trifft sich der Schauspiel-Hochadel Frankreichs. Auch Juliette Binoche und Charlotte Gainsbourg präsentieren neue Filme. Zwei Begegnungen.

 Juliette Binoche bei der Berlinale.

Juliette Binoche bei der Berlinale.

Foto: AP/Vianney Le Caer

Ach, Frankreich. Dieser Berlinale-Film mit Juliette Binoche zum Beispiel. Eine Frau lebt seit neun Jahren mit ihrem Mann in Paris. Zuvor war sie mir dessen bestem Freund liiert, doch der verließ sie und ging fort. Als er nun überraschend wieder auftaucht, krampft sich ihr Herz zusammen: „Wenn Du jemanden liebst, geht es nie ganz vorbei“, sagt sie. Sie liebt nun also zwei Männer, und alle weinen immerzu oder sagen „Je t’aime“ oder wollen geküsst werden. Manchmal alles gleichzeitig.

 Das sei ja schrecklich, was ihre Figur in diesem Film durchmache, sagt nach der Aufführung eine aufgewühlte Journalistin zu Juliette Binoche. Aber die 57-Jährige versteht das gar nicht. Nein, es sei doch etwas Schönes, jemandem wiederzubegegnen, den man geliebt habe, entgegnet sie. „Es packt Dich, geht ganz tief und ist fast nicht auszuhalten. Das ist ein Instinkt, wie der Überlebensinstinkt.“ Ihr Filmpartner Vincent Lindon stimmt zu: „Die Liebe ist wunderbar. Aber es geht vielleicht nicht ein ganzes Leben lang gut mit einer leidenschaftlichen Liebe.“ So sei das nun mal.

 Solche plaudernd dargereichten Unterrichtsstunden in Sachen L’amour sind der Grund, warum ein Filmfestival wie die Berlinale Stars braucht. In diesem Jahr kommen pandemiebedingt wenige prominente Namen an den Potsdamer Platz, weswegen sich manche bereits nach der Ära Dieter Kosslick zurücksehnen. Der hatte oft große US-Produktionen eine Woche vor deren Kinostart außer Konkurrenz im Wettbewerb laufen lassen, damit das Ensemble über den Roten Teppich schreiten kann. Die neue Doppelspitze mit Carlo Chatrian als Künstlerischem Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin macht so etwas nicht. Dafür ist 2022 die Champions League des französischen Kinos versammelt. Und zu ihr gehört natürlich auch Juliette Binoche.

 Sie ist ernst. In einem puderfarbenen Blazer ohne Ärmel sitzt sie vor der Presse, sie trägt ein metallisch glänzendes Rollkragen-Oberteil darunter, und wenn sie die zwei schwarzen Strähnen stören, die ihr Gesicht rahmen, schaut sie kurz an die Decke und deutet ein Kopfschütteln an. Sie dreht sich im Stuhl langsam hin und her, sie spielt mit dem Kabel ihrer Kopfhörer, sie lacht mit geschlossenem Mund. Sie schaut, als wisse sie mehr. Und sie sagt, der Film „Avec amour et acharnement“, in dem sie unter der Regie von Claire Denis die Frau zwischen zwei Männern spielt, habe sie aufgewühlt. Sie sei nicht unbeschadet aus den Dreharbeiten gekommen. Man kann sich das gut vorstellen. „Jetzt geht es wieder los“, sagt sie im Film, „die Liebe, die Angst, die schlaflosen Nächte, das Handy am Bett.“

 Charlotte Gainsbourg in Berlin.

Charlotte Gainsbourg in Berlin.

Foto: AFP/STEFANIE LOOS

 Diese Treffen mit Stars leben davon, dass man sich fragt, wie viel von der wirklichen Person man nun gerade erlebt. Und wie groß der Anteil an Schauspielerei auch in solchen scheinbar direkteren Begegnungen ist. Bei Juliette Binoche hat man den Eindruck, jede Bewegung sei choreografiert, ihre Statements und Gesten muten wie eine Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln an.

 Mit Charlotte Gainsbourg, der anderen großen französischen Künstlerin, die in Berlin zu Gast ist, geht es einem etwas anders. Sie sitzt schwarz gekleidet da, als sei sie traurig oder müde. Sie stützt den Kopf auf die linke Faust, und manchmal trinkt sie Bio-Eistee aus der Flasche. Sie ist konzentriert, und wenn sie angesprochen wird, ist sie zugewandt und auf eine Weise freundlich und offen, die so erschöpfend anmutet, dass man aus Fürsorge gar nicht weiterfragen mag. Gainsbourg hat ja eine zweite, sehr erfolgreiche Karriere als Sängerin; auf ihren Platten flüsterspricht sie zumeist, und genau dieses melodische und zur Schwermut neigende Hauchen hört man, wenn sie antwortet.

Auch diese Inszenierung passt indes zu dem Film, den sie in Berlin vorstellt. In „Les passagers de la nuit“ spielt sie eine Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde und nun die beiden halbwüchsigen Kinder im 21. Stock des Hochhausviertels Beaugrenelle großzieht. Es sind sie 80er-Jahre, ihre Élisabeth muss nach Trennung und Krankheit ihr Selbstbewusstsein wiederfinden. Es gelingt ihr durch einen Job in einer nächtlichen Radiosendung, wo sie mit leicht angerauter Stimme Anrufe entgegennimmt und den Hörern Lebenshilfe gibt.

Gainsbourg ist die Tochter von Jane Birkin und Serge Gainsbourg, französischer Kultur-Hochadel also, und die 50-Jährige spielt oft fragile Frauen, die sich selbst schwach vorkommen, obwohl sie es nicht sind. Ihr wehmütiger Film, der die Familie, und – Frankreich! – die Liebe feiert, mag kein Meisterwerk sein, aber er tut verflixt gut mitten in einer Berlinale, in der Zwischenmenschlichkeit und Zusammenleben allzu oft desillusionierend dargestellt werden.

Noch einmal zurück zu Juliette Binoche. Wo er denn die ganze Zeit gewesen sei, fragt sie den wiederaufgetauchten Liebhaber im Film. Er antwortet flüsternd: „Nicht weit.“

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