August Diehl im Interview "Karl Marx als Mensch ist fast vergessen"

Düsseldorf · In "Der junge Karl Marx" spielt August Diehl den Philosophen und politischen Aktivisten während seines Exils in Paris. Wir haben mit ihm gesprochen.

 August Diehl als Karl Marx (rechts) und Stefan Konarske als Friedrich Engels in einer Szene aus dem Film "Der junge Karl Marx".

August Diehl als Karl Marx (rechts) und Stefan Konarske als Friedrich Engels in einer Szene aus dem Film "Der junge Karl Marx".

Foto: dpa, csa

August Diehl (40) kann manische Typen spielen, junge Menschen, die von etwas getrieben sind, so wie der Computer-Hacker in dem Film "23", mit dem Diehl 1998 seinen Durchbruch erlebte. Inzwischen spielt er auch in internationalen Großproduktionen wie "Inglourious Basterds" oder Terrence Malicks neuem Film "Radegund" und ist seit 2013 festes Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater. Ein Gespräch über Menschen, die etwas bewegen wollen — in der Politik und in der Kunst.

Was hat Sie an Marx gereizt?

Diehl Ich habe mich zuerst tatsächlich gefragt: Warum sollte ich den spielen? Man verbindet mit Marx ja mehr eine Idee als eine Person. Als ich mich dann aber eingelesen habe, habe ich gemerkt, wie spannend seine Zeit war. Und dass Marx auch einmal jung war und während seiner Emigration in Brüssel und Paris viel erlebt hat. Der Film konzentriert sich ja auf diese Lebensphase, das finde ich richtig.

Warum sollten wir uns denn für den Menschen Marx interessieren,geht es nicht zurecht um sein Denken?

Diehl Sicher, seine Ideen sind das wichtigste, aber hinter den Ideen steht auch ein Mensch, der in Vergessenheit geraten ist. Mit Marx erzählt der Film von jungen Leuten, die daran geglaubt haben, dass sie die Welt verändern können. Und er erzählt von einer Freundschaft — der zwischen Marx und Engels.

Noch vor ein paar Jahren hat man über solchen Enthusiasmus zynisch gelächelt. Denken Sie, dass der Film inzwischen in eine Zeit fällt, die sich wieder politisiert?

Diehl Ja. Vor allem trifft er in eine Zeit, die begriffen hat, dass der Kapitalismus nicht "gewonnen" hat. Gerade seit der Finanzkrise 2008 spüren wir doch, dass auch diese Wirtschaftsform ihre Tücken und Gefährlichkeiten hat. Es lohnt sich deswegen, wieder über Marx nachzudenken. Und überhaupt wieder darüber nachzudenken, wie wir eigentlich leben wollen und welche Alternativen es zum bestehenden System gibt. Schon Marx hat ja dargelegt, dass der Kapitalismus in die Katastrophe führt. Darum ist er aktiv geworden.

Muss man "Das Kapital" gelesen haben, um Marx spielen zu können?

Diehl Ich hab durchaus hineingeguckt und auch das "Kommunistische Manifest" gelesen. Aber das taugt nicht wirklich für die Rollenvorbereitung, weil man den Menschen darin nicht so stark spürt. Dafür waren seine Briefe an Friedrich Engels und an seine Frau Jenny ergiebiger. Darin merkt man, dass er ein sehr intelligenter, humorvoller, zynischer Mensch war, der ärgerlich um Geld bitten und über andere Menschen herziehen konnte. In den Briefen lernt man ihn kennen.

Mochten Sie etwas nicht, dass Ihnen da begegnet ist?

Diehl Da war nicht alles sympathisch, aber für eine Rolle ist es weniger hilfreich darüber nachzudenken, was einem an einer Figur nicht gefällt. Er war sicher nicht nur ein angenehmer Mensch, aber er hatte einen sehr genauen Sinn für Gerechtigkeit und einen Blick für das, was schief läuft.

Im Film fallen viele berühmte Sätze, etwa, dass es für die Philosophie "darauf ankömmt, die Welt zu verändern". Welchen Satz nehmen Sie mit aus ihrer Rolle?

Diehl Ich schätze den dialektischen Humor, der in seinen frühen Schriften auftaucht. Man muss nur betrachten, wie er seine Schriften betitelt hat. Kritik der kritischen Kritik oder seine Erwiderung auf Proudons "Philosophie des Elends", die er "Elend der Philosophie" genannt hat. Da merkt man, wie produktiv dialektisches Denken ist - und wie viel Witz darin liegt.

Haben Sie schon als Jugendlicher Marx gelesen?

Diehl Nein, ich habe mich überhaupt erst im Zuge des Films mit ihm beschäftigt. Allerdings glaube ich, dass Marx etwa während meiner Schauspielausbildung an der Ernst Busch Schule präsenter war als es mir bewusst war. Er hing da auch nach der Wende noch in jedem Raum, nicht als Bild, sondern als Bewusstsein, an dem man sich reiben musste. Marx hat eben sehr, sehr viele Menschen geprägt. Als ich nach der Wende nach Berlin zog, hingen dort überall Plakate von ihm. Darunter stand: Sorry, war nur so eine Idee von mir. Da kann man wieder drüber nachdenken.

Aber erst mussten wir Marx vom Sockel stürzen, um neu über ihn nachdenken zu können?

Diehl Ja, wahrscheinlich war das nötig. Was aus seinem Denken gemacht wurde, hat ja auch viel Leid über Menschen gebracht. Mit dem Menschen Marx hatte das allerdings wenig zu tun. Und wahrscheinlich nicht mal mit seinen Ideen. Seine Theorien taugen nicht, um sie in großen Reichen anzuwenden. Wir verbinden Marx mit dem 20. Jahrhundert und der Sowjetunion. Er selbst stand aber den Ideen der Französischen Revolution viel näher. Das müssen wir wieder sehen, dann kann man sich ihm auch wieder annähern.

Wie streift man als Schauspieler die Gegenwart ab, um in einer historischen Rolle glaubwürdig zu wirken?

Diehl Das ist gar nicht mein Ziel. Ich bringe mich auch selbst ins Spiel, bei jeder Rolle. Aber natürlich muss man in die Zeit abtauchen, um gut spielen zu können. Marx hat ja selbst stark hervorgehoben, wie sehr der Mensch Produkt seine Milieus ist. Das habe ich für die Rolle ernst genommen und mich in das Milieu seine Umfelds hineingedacht. Die ganze politische Stimmung seiner Zeit wollte ich kennenlernen, dann begreift man erst, warum einer wie Marx Bedeutung gewinnen musste.

Sie haben viele erfolgreiche Filme gedreht, auch in Hollywood gearbeitet, sind aber dem Theater immer treu geblieben. Warum?

Diehl Weil man im Theater die absolute Verantwortung hat. Es gibt viele sehr gute Filme mit durchschnittlichen oder sogar schlechten Schauspielern, aber es gibt nicht einen guten Theaterabend mit schlechten Schauspielern. Weil der Schauspieler der Theaterabend ist. Man hat die Zügel in der Hand, das ist ein Live-Moment. Das möchte ich nicht missen.

Was erwidern Sie, wenn man Sie fragt, ob Sie Ihren Namen tanzen können?

Diehl Sie meinen, weil ich auf eine Waldorfschule gegangen bin? Da hab ich nie meinen Namen getanzt. Es gab Eurhythmie-Unterricht. Aber da bin ich irgendwann nicht mehr hingegangen, und das hat die Schule auch toleriert.

Denken Sie, dass Sie Ihr Talent auch deswegen entfalten konnten, weil Sie eine alternative Schule besucht haben?

Diehl Nein, bei Schulen hängt alles davon ab, auf welche Menschen man trifft. Das ist keine Systemfrage.

Warum sind Sie Schauspieler geworden?

Diehl Uhh, da denke ich gar nicht drüber nach. Ich hab einfach das weitergemacht, was ich schon als Kind gut konnte: Rollen spielen. Und mir vorstellen, dass ich jemand anders bin. Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass ich gemerkt habe, dass ich das gut kann. Jeder macht doch das gerne, wofür er Anerkennung bekommt.

War es gut, Marx zu sein?

Diehl Ja. Ich hab noch nie so eine Rolle gespielt, so eine schwere Autorität, einen Denker, und gleichzeitig einen Revolutionär, einen wütenden Menschen. Das hat mir gefallen.

(dok)
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