Peking Fernost brilliert am Steinway

Peking · Musiker aus Japan, China und Südkorea gelten als maschinell erzogene und wenig seelenvolle Künstler. Dieses Klischee wird von Künstlern wie der Chinesin Yuja Wang widerlegt. Es stammt aus einem Europa, das seine musikalischen Wurzeln auch in der Pädagogik zu verlieren droht.

Nein, an diesem Meister kommen wir natürlich nicht vorbei, wenn wir über Tastenritter und Tastenelfen aus Fernost sprechen. Er ist so übermächtig, so telegen, er ist der Zirkusartist und der Pausenclown. Lang Lang ist ein Superstar, und wer seinen Weg nun seit ein paar Jahren verfolgt, erlebt manches Wunder und manche Trübsal. Sein pianistisches Können ist fabelhaft; wenn die musikalische Tiefe noch nachzieht, dürfen wir uns auf einen Titanen mit deutlich verlängerter Haltbarkeit freuen.

Lang Lang verstellt uns aber den Blick, verstopft uns das Ohr für eine ganz erstaunliche Entwicklung des internationalen Musiklebens – und vor allem für die längst fällige Widerlegung eines Klischees. Es lautet: Musiker aus Japan, China und Südkorea sind ausnahmslos Roboter, gedrillt in Tausenden von unerfreulichen Kerkersitzungen. Ob sie Klavier spielen, geigen, singen: Sie alle gelten als verwechselbar, austauschbar, ersetzbar.

Träumt weiter, Leute – und pflegt die hochmütige Unfähigkeit, fremde Gesichter und noch fremdere Namen zu behalten! Die Wirklichkeit sieht anders aus. Neulich beim Internationalen Musikwettbewerb in Köln erlebte man eine Prozession höchstbegabter Pianistinnen und Pianisten aus diesen Ländern – und keiner darunter, der in fatale Nähe zu maschineller Abwicklung von Noten geraten wäre. Im Gegenteil: Wir hörten Beethoven wie aus einem Geist und Guss, Mozart mit Lieblichkeit und Härte, Liszt mit Tiefgang, Chopin mit Schwung, Schumann mit Ritterlichkeit.

Lasst Namen sprechen: Die Klavierkonkurrenz gewann Mayumi Sakamoto aus Japan, auf Platz zwei kam Sukyeon Kim aus Südkorea (Studentin bei Prof. Schenck in Düsseldorf). In der Kategorie Violine gewann Mayu Kishima (Japan), im Fach Gesang gingen alle drei Preise nach Südkorea: an Hansung Yoo, Hyekyung Choi und Gyungseok Han. Ach ja, den dritten Platz bei den Pianisten errang Florian Noack, es handelt sich um einen 21-jährigen Mann aus – Belgien. Von Musikern aus Deutschland, dem Land der Dichter, Sänger und Denker, hörte man allenfalls Mittelmaß.

Das verwundert niemanden, der sich mit der Materie auskennt – wie Professor Reiner Schuhenn, der Rektor der Kölner Musikhochschule. Er sagt: "Junge Musiker aus Fernost sind musikalisch anders sozialisiert als ihre Kollegen aus Deutschland. Sie besitzen eine solidere musikalische Allgemeinbildung. In Südkorea wird vom Kindergarten an kontinuierlich gesungen als Teil einer ganzheitlichen Menschenbildung." Bei uns, sagt Schuhenn nicht ohne leichten Groll über das System, werde "Wissen vermittelt, aber keine Bildung – das ist aber ein himmelweiter Unterschied".

Vielleicht ist Fernost längst europäischer Boden, was die Pflege der Musiktradition betrifft. In den Ländern der aufgehenden Sonne hört man Beethoven und Mahler in den aufstrebenden Familien, dort besucht man klassische Konzerte, dort ist man bemüht, Musik nicht nur nachzubilden, sozusagen als Blaupause der Noten, sondern sie auch zu begreifen, zu erfühlen. Das geht über Grammatik weit hinaus. Das technische Rüstzeug ist allerdings oft von erhebendem Niveau, und wenn ein junger Pianist nach zehn Stunden Flugzeit erstmals eine deutsche Musikhochschule betritt, hat er daheim nicht selten bereits ein Musikstudium und Kurse absolviert. Hier holen sie sich das, was man die Weihe nennt.

Während Japan seit vielen Jahren vor allem mit der wunderbaren Mitsuko Uchida punktet (die aber nun schon fast Wienerin ist), hat das junge China mehrere Eisen im Feuer. Das glühendste ist ohne Frage Yuja Wang. Die 24-jährige Chinesin aus Peking, die seit Jahren in Nordamerika lebt, ist eine Mischung aus Fräuleinwunder, Zauberfee, Amazone – und Boxenluder. Als sie neulich beim Echo Klassik, wo sie einen der begehrten Preise errang, mit einem verwegen kurzen Kleid auftrat, herrschte in der Musikwelt eine Mischung aus Faszination und Empörung; am lautesten empörten sich diejenigen, die am längsten hinguckten.

Sie hätten zuhören sollen – wie Yuja Wang bei Scarlatti Wunder an lichtdurchfluteter Poesie entdeckt; wie sie bei Prokofieff grandios den Mörser in der Tasche lässt und doch die Musik bis in die Atome zerteilt; wie sie bei Liszt und Chopin bis auf den lyrischen Grund taucht. Das ist unendlich viel mehr als nur Equilibristik, Hochseilturnerei, lächelnde Rasanz oder roboterhafte Erfüllung olympischer Gedanken – Yuja Wang spielt erfüllt. Zwischen ihr und Lang Lang liegen künstlerisch mindestens zwei Reisfelder.

Natürlich sollte man den deutschen Nachwuchs nicht verteufeln. Da gibt es großartige Talente. Aber die Musiker der Zukunft werden in Schriftzeichen kommunizieren, die wir nicht kennen, nicht lesen können, nicht verstehen wollen. Hierzulande glaubt man immer noch, in Fernost werde nach der geisttötenden Suzuki-Methode unterrichtet. Wir haben eben keine Ahnung.

Yuja Wang spielt übrigens seit Jahren dort, wo sie hingehört – bei der Deutschen Grammophon.

(RP)
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