Bastian Sick "Fehler sind etwas zutiefst Menschliches"

Der Sprachkritiker und Buchautor ("Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod") über "gefühlte Artischocken" und das Strebertum.

Düsseldorf Die Bücher seiner Dativ-Genitiv-Reihe verkauften sich Millionen Mal, und wenn man Leuten erzählt, dass man gleich mit Bastian Sick spricht, sagen sie darum: Ach, der! Zuletzt erschien von ihm "Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen", eine kommentierte Sammlung von mit Fehlern gespickten Fundstücken. Reinhold Beckmann nannte ihn einmal einen Sprachpapst. Wer ihn nicht so gut leiden mag, sagt, Sick habe seine Karriere auf Klugscheißerei aufgebaut.

Kann man mit Ihnen noch ein normales Gespräch führen?

Sick Das kommt auf den Gesprächspartner an. An mir soll es nicht scheitern.

Scannen Sie nicht jeden Satz gleich auf Fehler?

Sick Nein, denn dann könnte ich dem Gespräch gar nicht mehr folgen. Wenn man sich nur auf die Wortwahl und die Grammatik konzentriert, verliert man den Inhalt und damit das Wesentliche aus den Augen. Wer mich kennt, weiß, dass sich jeder mit mir so unterhalten kann, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Aber es stimmt schon: Wenn einem ein gewisser Ruf vorauseilt, reicht allein das, um andere einzuschüchtern.

Versuchen die Leute dann, jedes Wort abzuwägen?

Sick Möglicherweise, aber das ist ja auch gar nichts Schlechtes, wenn ich allein durch meine schiere Gegenwart dazu beitragen kann, dass Menschen über das, was sie sagen, nachdenken. Das sollte man eigentlich immer. Nach kurzer Zeit merken die meisten aber: Der tickt ja doch ganz normal.

An einer Stelle in Ihrem Buch zeigen Sie ein Plakat des "Circus Las Vegas", der mit "Rauptieren in der Manege" wirbt. Ein falsches P ändert alles. Eigentlich doch ganz schön, dass wir Fehler machen, oder?

Sick Ich finde es wunderbar, das besorgt mir mein täglich Brot. Fehler sind etwas zutiefst Menschliches, und es wäre auch ein Missverständnis meiner Arbeit, wenn sich all diejenigen, die nicht so gut in Deutsch sind, von mir gegeißelt sähen. Das ist nicht mein Anliegen. Ich versuche bloß all jenen, die sich dafür interessieren, die Regeln zu erklären. Ich bekomme jeden Tag E-Mails mit Fragen.

Wonach wurden Sie zuletzt gefragt?

Sick Nach dem Geschlecht des Worts Audio. Ich habe den Duden konsultiert, weil ich es auch nicht wusste, und da stand, dass es tatsächlich "das Audio" heißt. Eine Schülergruppe hatte danach gefragt.

Das hätten die genauso gut selbst nachschlagen können.

Sick Das ist wohl wahr. Ich bin noch in einer Zeit aufgewachsen, in der der Duden neben der Bibel das selbstverständlichste Buch im Haushalt war. Das ist offenbar nicht mehr so.

Sie bekommen offensichtlich sehr viele Zuschriften. Die Bildhinweise in Ihrem Buch umfassen allein sechs Seiten. Erheben Sie sich nicht auch über Menschen, die Fehler machen?

Sick Von erheben kann keine Rede sein, denn ich selbst bin alles anderes als fehlerfrei. Und meine Kritik richtet sich in der Regel an Sprachprofis. Ich zitiere ja nicht aus privaten Briefen; alle meine Beispiele stammen aus der Werbung, aus Zeitungen, Magazinen und Prospekten. Überall, wo mit der Sprache professionell gearbeitet wird, erwarte ich auch Professionalität. Diesen Anspruch habe ich auch an mich selbst. Und wer auf einer Angebotstafel für "gefühlte Artischocken" wirbt oder für "Oma's frische Leber", der muss es sich auch gefallen lassen, wenn die Leute stehenbleiben und schmunzeln.

Gibt es einen Fehler, den Sie immer wieder machen?

Sick Dutzende! Beim Tippen auf der Tastatur passiert es immer wieder, dass ich Buchstaben verwechsele. Besonders ärgerlich ist es, wenn mir solche Fehler durchrutschen und auf meine Webseite gelangen. Das ist mir sehr, sehr peinlich. Aber wir alle müssen lernen, mit Fehlern umzugehen, um es beim nächsten Mal besser zu machen.

Ist es okay, Sie einen Streber zu nennen?

Sick Das kommt darauf an, was man unter einem Streber versteht. Nach etwas zu streben, ist erst einmal eine positive Eigenschaft. Ein Streber ist einer, der Ziele hat und vorankommen möchte, dem nicht alles egal ist. In der Schule war ich kein Streber, ich hatte ein Abi von 2,1, also nicht mal ein Einser-Abi. Ich habe nie mehr getan, als ich hätte tun müssen. Fächer wie Deutsch, Französisch und Geschichte lagen mir aber, da habe ich auch meine Einsen geschrieben und wurde von anderen prompt gehänselt. Das ist in einem bestimmten Alter offensichtlich normal.

Sind Sie Pessimist?

Sick Nein! Ich bin kein Schwarzseher. Ich glaube nicht, dass unsere Kultur vor die Hunde geht. Unsere Sprache übrigens auch nicht. Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft, und so wie sich die Gesellschaft in ständigem Wandel befindet, wandelt sich auch die Sprache. Das muss sie sogar, denn wenn sie sich nicht immer wieder an Neuerungen und Veränderungen anpasst, wird sie unbrauchbar. Dass wir im Zeitalter der Globalisierung leben, in der das Englische übermächtig geworden ist und Migrationsströme auf uns einwirken, führt dazu, dass sich die Gesellschaft wandelt - und die Sprache mit ihr. Ein Wort wie "Babo" . . .

. . . das der Rapper Haftbefehl populär gemacht hat . . .

Sick . . . das aus dem Bosnischen kommt und so viel wie Boss bedeutet, wird dann bei uns zum Jugendwort des Jahres gewählt.

Also geht die deutsche Sprache gar nicht kaputt?

Sick: Unsere Sprache geht nicht kaputt, wir kommunizieren ja alle munter fort. Sie verändert sich nur. Es ist natürlich schade, dass immer wieder etwas verlorengeht, weil ständig neue Wörter hinzukommen. Alte Begriffe verschwinden, weil man sie nicht mehr benötigt oder sie nicht mehr gelehrt werden.

Um welches Wort tut es Ihnen leid?

Sick: Um das Wort "unverwandt" zum Beispiel.

Unverwandt?

Sick "Unverwandt starrte er mich an." Das heißt: ohne sich abzuwenden. Ich mag auch das Wort "einander". Es ist nämlich etwas anderes, ob zwei Menschen sich lieben oder einander lieben.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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