Literaturdebatte Der ramponierte Preisträger

Wien · Wegen zweier Fehler in seinem preisgekrönten Bestseller „Die Hauptstadt“ steht Autor Robert Menasse in fadenscheiniger Kritik.

 Robert Menasse vor zwei Jahren im Alten Rathaus Göttingen.

Robert Menasse vor zwei Jahren im Alten Rathaus Göttingen.

Foto: picture alliance / Jan Vetter/dpa

Natürlich sei sie „befangen“, bekennt sie gleich im ersten Satz ihres Plädoyers. Eva Menasse, 48, ist eine vielfach geehrte Schriftstellerin. Und sie ist die Schwester von Robert Menasse, was in diesen Tagen eine weitaus größere Aufmerksamkeit verspricht, da hierzulande ein erbitterter Streit über den Roman „Die Hauptstadt“ geführt wird mit dem Versuch, seinen Autor zu „vernichten“ (Eva Menasse).

Der „Fall“ in knapper Rückschau: In seinem Europa-Roman „Die Hauptstadt“ lässt Robert Menasse auch den ersten Präsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Walter Hallstein (1901-1982), auftreten, der 1958 in einer Antrittsrede fordert, die Nationalstaaten abzuschaffen. Eine Aussage, die Hallstein so pointiert nicht formuliert hatte. Vor allem aber ist diese Rede nie in Auschwitz gehalten worden, wie Robert Menasse einem Hinweis leichtfertig Glauben schenkte und dies dann unbekümmert im Roman auch beschrieben hatte. Zwei Fehler – ein kleinerer, ein größerer, und beide vermeidbar.

Robert Menasse hat sich dafür mehrfach entschuldigt. Während seine Schwester ihm attestiert, er sei immer schon ein „schlampiger Zitierer“ gewesen, ein Träumer bisweilen und obendrein ein „in seine Thesen verliebter Luftikus“. Sein Traum ist nicht Ruhm, Reichtum, Ehre. Robert Menasse träumt seit vielen Jahren vor allem von Europa.

Ich fühle mich in dieser Debatte nicht befangen. Und dass ich dies überhaupt erklären muss, ist allein dem Umstand geschuldet, dass ich 2017 in der Jury zum Deutschen Buchpreis gemeinsam mit den anderen Mitgliedern Robert Menasse den renommierten Preis zuerkannte. Aus den bis heute besten Gründen, die es gibt: den literarischen.

Weil dieses Buch derart souverän, sprachwitzig, unverschämt, menschlich und unterhaltsam über Europa, seine Herkunft und seine Zukunft erzählt, ist der Preis nach wie vor unstrittig. Wie auch der Walter-Hasenclever-Preis fürs selbe Buch und der Carl-Zuckmayer-Preis, der – allerdings erst nach staatstragenden Beratungen mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer – in der kommenden Woche in Mainz an den gebürtigen Wiener Schriftsteller verliehen wird.

Eins aber frage ich mich: Was eigentlich hat Robert Menasse geritten, einem vagen Hinweis blindlings zu folgen und das Märchen von einer Europa-Rede in Auschwitz zu übernehmen? Zumal Menasse nur sehr bedingt schlampig recherchiert: 2010 war er nach Brüssel gezogen, erkundete dort mehrere Jahre das Räderwerk der EU und begann mit dem Roman erst, nachdem er mit seinem Band des „Europäischen Landboten“ etliche Essays zum Thema veröffentlichte. Robert Menasse weiß sehr viel über Europa, so viel wie kein zweiter Autor, möchte ich behaupten.

Also noch einmal: Warum dann dieser Lapsus? Vielleicht, weil Menasse in Hallsteins mutiger und vermeintlich in Auschwitz gehaltener Rede den Brückenschlag zwischen seiner Fiktion und der Wirklichkeit sah. Der Roman war plötzlich nicht mehr nur inspirierende, sprachmächtige Kunst. Er versprach, an Vergangenes anzuknüpfen, um Zukünftiges einzuleiten. Vielleicht war Menasse auch deshalb leichtsinnig genug, den Namen Hallstein nicht zu verändern; was ihn von allen Erklärungsnöten befreit hätte.

Ein Europa ganz ohne Staaten und mit Menschen, die Europäer deshalb sind, weil sie es sein wollen! Ein Europa, das die Lehre von Auschwitz ins Zentrum stellt, wofür im Roman ein Historiker plädiert! – das alles ist forsch gedacht (wie es große Romane eben tun) und für manchen Debattenteilnehmer möglicherweise zu forsch. So muss Menasse inzwischen Hohn und Spott ertragen. Der evangelische Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen spricht gar von „geschmackloser Auschwitz-Lüge“. Leser des Romans werden darüber nur den Kopf schütteln können. Auch deshalb, weil Menasse in der Union Europas ein Gegengewicht zum Populismus sieht, ein möglicherweise überlebenswichtiges. „Ich als Jude will nie wieder wo abgeholt werden“, erklärte Menasse vor drei Jahren.

Robert Menasse hat mit Kritik und Häme schon zu kämpfen gehabt, noch bevor der Historiker Heinrich August Winkler auf die historischen Fehler aufmerksam machte und diese durch einen Bericht in der „Welt“ dann größerflächig publik wurden. Und selten ist über einen Deutschen Buchpreisträger so hämisch berichtet worden wie zur Preisverleihung 2017 in der FAZ. Die Kritik traf dabei die Person, galt dem Auftreten des Preisträgers. So war zu lesen, dass ein Großteil seiner Dankesworte im „Schnäuzen“ unterging und dass das „Sacktuch, dessen er sich bediente, ein denkbar voluminöses war“. Das sei nötig gewesen für all die Freudentränen, und es habe in Menasses Hosentasche überdies ausreichend Platz gehabt, da es ja offensichtlich für eine Dankesrede an hilfreichen Spickzetteln mangelte. Die Rührung des Geehrten hatte indes auch andere Gründe. So war kurz vor der Preisverleihung ein seriös dreinschauender Mann an Menasse herangetreten, habe diesem zugeflüstert, dass er den Deutschen Buchpreis nicht bekommen würde und deshalb nicht enttäuscht sein solle. Mit dieser Gewissheit also saß der Autor im Frankfurter Römer, und mit dieser Überraschung der Ehrung war er dann immer noch ungläubig zur Bühne gestolpert. Der Literaturbetrieb ist eine Schlangengrube. Für Robert Menasse scheint man sich eine etwas größere und tiefere ausgedacht zu haben.

Was das mit dem historischen Fehler und der verfälschenden Zuspitzung eines Zitats im Roman zu tun hat? Recht wenig. Aber doch sehr viel mit der Debatte, die nicht nur übers Buch, sondern auch über den Autor geführt wird. Es geht nicht mehr um Literatur, zumal die Leser ihr Urteil über „Die Hauptstadt“ ja längst und eindeutig gefällt haben: Wochenlang führte der Roman die Bestsellerliste hierzulande an, er wurde in 23 Sprachen übersetzt und wird derzeit auf etlichen Bühnen in einer Theaterfassung gezeigt.

Der Roman beginnt übrigens damit, dass in Brüssel eine freilaufende Sau gesichtet wird. Die ist am Ende des Buches spurlos verschwunden. Nun wird mit der Debatte eine andere, neue Sau durchs Dorf getrieben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort