Kunst und Lebensfreude im Tanzhaus NRW Der Tanz des Zeremonienmeisters

Düsseldorf · „Shadowboxing“ feierte jetzt im Tanzhaus NRW seine deutsche Erstaufführung. Mit der exzentrischen Show von Künstler Frédéric Gies und DJ Fiedel wurde dem faszinierten Publikum ein wenig Berghain-Zauber geschenkt

Der Künstler Frédéric Gies in „Shadowboxing“.

Der Künstler Frédéric Gies in „Shadowboxing“.

Foto: Th. Zamolo/Thomas Zamolo

Wenn sich Kunst und Lebensfreude verbinden, strahlen am Ende alle, die diesen Akt erleben dürfen. Im Tanzhaus NRW speiste sich jetzt ein origineller Abend aus diesen beiden Zutaten, und am Ende dankte das Publikum nicht nur den Künstlern Frédéric Gies und DJ Fiedel für eine exzentrische Show, sondern feierte auch sich selbst. Die deutsche Erstaufführung des Stücks „Shadowboxing“ wurde in der Reihe „Raving Choreographies“ am Abschlusswochenende aufgeführt. Das gesamte Programm ist eine Hommage an die Clubkultur der 1990er Jahre und somit auch an Hedonismus, Tanzekstase und Sound. Das Glücksversprechen der Partypioniere von einst kommt anscheinend zur richtigen Zeit, denn das schöne Festival, das Dramaturg Philipp Schaus arrangiert hat, ist stark nachgefragt, mancher Abend ausverkauft.

Im Tanzhaus wird eine Sehnsuchtsmaschine befeuert, die ein Bad in Beats und Bässen prophezeit. Und so sind die Besucher von Gies‘ Performance kein bisschen unglücklich darüber, dass Sitzplätze nicht zur Verfügung stehen. Erwartungsvoll bilden sie einen großen Kreis um das, was in wenigen Minuten Tanzfläche werden wird, bilden wie von selbst eine Gemeinschaft.

Da schießt auch schon Frédéric Gies mit einem Tisch quer durch die Halle und baut sich seine Bühne. Er trägt einen minimalistischen Lendenschurz, schmale Schnüre baumeln an ihm herunter. Mit seinem Bart und den langen Haaren sieht er aus wie der Anführer einer Hippie-Kommune, halb Mensch, halb Guru. Von nun an tanzt er 60 Minuten lang zu den tollen Tracks von Michael „Fiedel“ Fiedler, Resident-DJ im Berliner Berghain.

Keine Pause, wenig Tempodrosselung: Gies versinkt in einem Bewegungsmarathon aus Hüpfern und Sprüngen, Arm-Rudern, kleinen Märschen und Steps, dazwischen ein klassisches Port de Bras. Aus Impulsen werden Muster, aus Mustern Figuren. Zunächst noch etwas scheu, rücken schließlich immer mehr Zuschauer nah an Zeremonienmeister Gies heran. Er ist das Zentrum eines Geflechts aus Rhythmus, Takt und Tanz — niemand steht mehr still.

Gies arbeitet seit vielen Jahren im zeitgenössischen und experimentellen Tanz. Er ist in der Ballettkunst ausgebildet, hat in Frankreich begonnen zu choreografieren, war eine Weile in Berlin und lebt heute in Schweden. Mit DJ Fiedel realisiert er seit 2014 künstlerische Projekte. Gies interessiert das Zusammenspiel von Clubtanz und Gemeinschaft, von kollektiver Erfahrung und Selbstvergessenheit. In „Shadowboxing“ wird er zum Raver pro toto. Er ist der Verbündete aller Tanzenden und allen Tanzens und gießt seine Komplizenschaft in ein intensives Bühnengeschehen.

Das Publikum ist begeistert und noch randvoll mit Energie, als die Vorstellung endet. Die Rückkopplung darauf kommt vom Misch-Pult, wo DJ Fiedel für eine kleine Weile weiter auflegt. Er und Gies haben eine der härtesten Türen der Welt geöffnet und dem Tanzhaus den Berghain-Zauber geschenkt. So viel Glück hat nicht jeder.

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