Ehrung Protagonistin der sozialen Fotografie

Düsseldorf · Die aus der DDR stammende Künstlerin Evelyn Richter wurde in Düsseldorf für ihr Werk mit dem Bernd und Hilla Becher-Preis ausgezeichnet.

 OB Thomas Geisel (links) mit Professor Dr. Peter Richter, Bruder der Becher-Hauptpreisträgerin Evelyn Richter.

OB Thomas Geisel (links) mit Professor Dr. Peter Richter, Bruder der Becher-Hauptpreisträgerin Evelyn Richter.

Foto: David Young, Landeshauptstadt Düsseldorf

Evelyn Richter gehört neben Helga Paris zu den wichtigsten DDR-Fotografinnen. Was ihr 60-jähriges Schaffen auszeichnet, erklärte sie einst als Dozentin der Hochschule für Grafik und Buchkunst noch vor dem Fall der Mauer: „Ein gutes Bild muss ein Gleichnis sein, muss die Kraft des Erlebnisses enthalten, Emotionen verdichten und Inhalte transportieren.“ Sie schuf Dokumente ohne Pathos und verlogene Romantik, als beispielhafte sozialdokumentarische Fotografie. Sie ist die erste Preisträgerin des Bernd und Hilla Becher-Preises (15.000 Euro).

Die 90-Jährige lebt heute im Pflegeheim und tritt nicht mehr öffentlich auf. Für sie nahm ihr jüngerer Bruder, Hochschulprofessor Peter Richter, die Urkunde bei einem sehr empathischen Festakt im Rathaus entgegen und revanchierte sich mit einem Originalabzug von 1968 aus dem ruinösen Magdeburg. In seiner Dankesrede betonte er: „Die Bechers und meine Schwester sind sich im Leben nie begegnet, sie erarbeiteten ihre Werke in getrennten Ländern. Und doch waren sie im Arbeitsstil ähnlich. Nicht das einzelne Bild stand im Mittelpunkt, sondern eine typologische Serie von Fotos. Die geografische Distanz war eigentlich unerheblich, aber sie hatte existenzielle Bedeutung.“

Evelyn Richter hatte Kindheit und Jugend auf einer Schule der pietistischen Herrnhuter Gemeinde verbracht. Sie blieb in der evangelischen Kirche verwurzelt, denn nach Aussage ihres Bruders machte sie die sozialkritischen Fotos für die Kirche und steckte sie in Kisten, aus denen sie nach der Wende hervorgeholt wurden. Im Leipziger Evelyn-Richter-Archiv werden sie ausgewertet. Archivleiterin Jeanette Stoschek erzählte im Lichtbildvortrag, wie Richter seit den 1960er Jahren mit Leica und lichtempfindlichen Filmen ohne Equipment unauffällig im eigenen Auftrag arbeitete. Sie sah den Widerspruch zwischen Anspruch und Realität in der DDR, und sie hielt ihn mit der Kamera fest.

Eine Frau, so eigensinnig wie die Bechers. Aber es gibt Unterschiede. Darauf verwies Florian Ebner vom Centre Pompidou in seiner Laudatio: „Die Bechers achten auf Reduktion und Abstraktion, auf die architektonischen Hinterlassenschaften. Die Menschen sind nur in ihrer Abwesenheit da. Ein Werk von großer formaler Schönheit, eine Perspektive durch Distanz. In den Aufnahmen Evelyn Richters ist der Mensch stets eingepasst in das soziale Gefüge seiner Zeit. Er ist nicht denkbar ohne die Gesellschaft, die ihn prägt. Die Individuen sind reisende Existenzen innerhalb des großen Apparats. Dieser Blick auf den Einzelnen, das Verhältnis von Individuum und Kollektiv ist das Lebensthema der Fotografin und der politischen Person Evelyn Richters."

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