Museum Folkwang zeigt Bilder aus dem Italien der 1920er Jahre Tiefgekühltes Italien

Essen · Unter dem Titel „Unheimlich real“ zeigt das Essener Museum Folkwang Bilder, die in den 1920er Jahren in Italien entstanden sind.

 Das Bild „Maschere“ (Masken) malte Cesare Sofianopolu. 1930.

Das Bild „Maschere“ (Masken) malte Cesare Sofianopolu. 1930.

Foto: Museum Folkwang/NICOLA ECCHER

In kühlem Ambiente gibt es nichts zu lachen. Die Menschen in den Bildern der Ausstellung „Unheimlich real“ wirken selbst in Gruppen meist isoliert und verziehen keine Miene. Es könnte doch so schön sein in Venedig! Ubaldo Oppi aber malte seine Ehefrau 1921 vor der Kulisse der Gondolieri als blau gekleideten Trauerkloß mit teilnahmslosem Blick.

Ausgerechnet mit diesem Gemälde wirbt das Essener Museum Folkwang für seine Schau von 80 Werken des italienischen „magischen Realismus“ in den 1920er Jahren. Die Rechnung könnte aufgehen, denn die meisten dieser Bilder im Stil der Neuen Sachlichkeit, wie man in Deutschland sagt, prägen sich dem Betrachter ungewöhnlich tief ein. Viele davon, vor allem solche aus Privatsammlungen, sieht man hierzulande jetzt zum ersten Mal.

Wohl aus zwei Gründen hat die Entdeckung bei uns so lange auf sich warten lassen. Erstens war der magische Realismus eine rückwärtsgewandte, sich an der Kunst der Frührenaissance orientierende Kunst und passte damit nicht in die allseits angebetete Moderne. Zweitens geriet sie in ihrer späten Phase ins Fahrwasser des Faschismus, ohne allerdings ganz vorne mitzuschwimmen.

Einige Bildnisse erinnern tatsächlich an die Verherrlichung der Mutterschaft, wie sie die Nationalsozialisten bei drittklassigen Malern in Auftrag gaben. Doch von deutscher Eindeutigkeit sind selbst die späten Werke der Essener Schau weit entfernt. Das Motiv von der Fremdheit des Menschen in der Welt bildet stets den Untergrund.

Der Rundgang beginnt bei Gemälden, deren Unheimlichkeit sich noch in Grenzen hält. Doch bereits zu Beginn rückt der Künstler in den Blick, der dem magischen Realismus auf die Sprünge half: Giorgio de Chirico. Schon 1910 eröffnete er seine Serie der „Piazze d‘Italia“, ein Bild daraus aus den Jahren 1924/25 hängt in Essen. Unbewohnte Renaissance-Architekturen rechts und links, dazwischen ein Denkmal in Rückenansicht, das ebenso wie das rechte Gebäude einen Schlagschatten wirft, im Hintergrund Landschaft unter fast wolkenlosem Himmel — mit solchen flächigen Kompositionen ging de Chirico in seiner metaphysischen Malerei den „unheimlich realen“ Künstlern voraus.

„Der Jongleur“ von Antonio Donghi wirkt bei seinem Balance-Akt mit Hutkrempe auf Zigarre im Mund steif wie eine Marionette. Links hinten unterstreicht eine Vase auf einem kleinen Tisch die sterile Atmosphäre der Szene, vorn links ragen geheimnisvoll zwei Vorhänge ins Bild. Hier wie auf anderen Kompositionen haben mathematische Formeln jedem Gegenstand seinen Platz zugewiesen, eine Malerei von unerbittlicher Präzision.

Als Gruselkabinett erweist sich die Abteilung der Akte. Dort treiben die magischen Realisten Isolation und Verlorenheit auf die Spitze, zum Beispiel Cagnaccio di San Pietro in „Erster Verdienst“: Eine Schale mit Geldscheinen und Münzen auf einem Bett weist darauf, dass die Nackte mit knochigem Körper daneben sich soeben prostituiert hat.

Akte, Stillleben und Porträts — die bevorzugten Genres der Renaissance trieben auch die unheimlichen Realisten um. Sie verstanden sich auf die Strenge Alter Meister wie etwa auf das Malen von Faltenwürfen und eine dramatische Beleuchtung, kehrten damit allerdings zunehmend Nationalstolz hervor.

Politisch sind einem diese Gemälde auch heute, in geschichtlicher Distanz, noch nicht ganz geheuer. Wer Donghis „Wäscherinnen“ betrachtet, eine Frau im Profil, die ein Tuch auswringt, und eine Frau in Rückenansicht, die ein Textilstück aufhängt, könnte glauben, dass dieses Gemälde ein überliefertes Frauenbild feiert oder aber lediglich die „Rückkehr zur Ordnung“ nach den Wirren des Ersten Weltkriegs bedeutet. Das war nach den Experimenten der Moderne auch stilistisch gemeint. Die Pariser Neoklassizisten hatten sich mit diesem Ruf Beachtung verschafft.

Die italienische Variante jedenfalls, so zeigt sich in Essen, war ein Realismus, der bereits durch die Moderne gegangen war, gebrochen wie jene mit einer Art Toga bekleidete „Fremde“ von Bortolo Sacchi, die sich vor einem der venezianischen Kanäle traurig dem Betrachter stellt, grau-braun wie Wasser und Häuser im Hintergrund und im Schein eines Hauchs von Sonnenuntergang. Der Zweite Weltkrieg stand noch bevor.

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