Farin Urlaub über Songwriting „Ich produziere Masse statt Klasse“

Essen · Der Ärzte-Sänger Farin Urlaub erklärt auf Zeche Zollverein die Inspiration für seine spezielle Punkrock-Poesie. Rund 600 Leute erfuhren dabei, dass gute Reime auch mal unrein sein dürfen.

 Farin Urlaub schreibt die Texte der Ärzte und sprach in Essen über seine Inspiration.

Farin Urlaub schreibt die Texte der Ärzte und sprach in Essen über seine Inspiration.

Foto: dpa

Man hätte darauf kommen können, dass die Liedzeile „Und ständig dieser Lärm / Willst du dass wir stääärbn?“ nicht auf einer Wohnzimmercouch entstanden sein kann. Farin Urlaub, Songschreiber, Sänger und Gitarrist der Band Die Ärzte (die ja nach eigenem Bekunden unbestritten die beste Band der Welt ist) kommt eine solche Idee beim Waldspaziergang mit dem Hund. Oder beim Motorradfahren. Und er hat immer ein Diktiergerät dabei. Und wenn er so von einer Wanderung nach Hause kommt oder die mehrtägige Motorradtour durch die Wüste Malis beendet, sind so viele Ideen aus seinem Mund aufs Band gepurzelt, dass es für Songmaterial für mindestens ein neues Album der Ärzte, wahrscheinlich sogar für zwei plus eine neue Soloplatte reicht.

Dann gibt es da aber noch zwei Probleme: Farins ebenso geniale wie strenge Bandkollegen Bela B. und Rod. „Die beiden sind meine harte Realität“, sagt Urlaub an diesem Samstagabend in einem für Corona-Zeiten seltsam vollbesetzten Saal der Zeche Zollverein vor gut 600 Besuchern. Die Ärzte-Fans dürsten nach dem neuen Album „Hell“, das im Oktober erscheint. Die Tour ist ausverkauft, wenn sie denn stattfinden kann. Da ist ein Abend, an dem Farin Urlaub (der eigentlich Jan Vetter heißt) über seine Songwriting-Kunst spricht, ein angenehmes Horsd’œuvre.

Fans sind aus Berlin, dem Erzgebirge, Tübingen, Hamburg und Bremen angereist für ein 75-minütiges Gespräch (mehr erlaubt das Schutzkonzept nicht) ohne einen einzigen musikalischen Ton: „Texten ist wie Atmen“ heißt der Abend, an dem Farin der Kulturvermittlerin Traudl Bünger eben über seine „Atemtechnik“ berichtet: „Wenn ich zu Hause sitze und sage: Junge, ein Hit wäre jetzt gut, dann kommt nichts. Aber ich sitze ja nie zu Hause.“ Er ist immer unterwegs, rastlos sind seine Texte, durchzogen von Reimen („Was wäre ich ohne Reime? Keime.“). Es gibt Reime, die Urlaub erst möglich macht: „Man muss Reime zelebrieren. Haare, Gitaaarre. Lärm, stääärbn. Reimt sich. Isso.“

Wenn Urlaub sagt, man könne alles singen, wenn man es sich traut, glaubt man ihm das. Erfreulicherweise hat die Sprachpolizei Textsünden aus vier Jahrzehnten Punkrock-Poesie inzwischen nicht nur verziehen, sie vielmehr zur Kunst erhoben. Wobei Farin einerseits über sich selbst sagt: „Ich mache Masse statt Klasse. Ich scheitere mehr, als dass ich Erfolg habe.“ Aber andererseits lieben Fans seine voller Überzeugung vorgetragene Attitüde: „Selbstkritisch wäre nicht das Erste, was einem einfiele, mich zu beschreiben.“

Urlaub (56) ist ein großartiger Songschreiber und Spaßmacher, dem aber auch mal ein Liebeslied passiert. „Liebeslieder können sich über Jahre hinziehen, nur die lustigen Songs gehen schnell. Man will in einem Liebeslied Schmerz und Leid hören. Aber wenn Whitney leidet, leid ick ooch.“ Als er auf Wunsch seiner Gastgeberin seinen Text aus dem Lied „Jag elska Sverige“ vorliest, ein Liebeslied für Schweden, in dem Palmen am Strand stehen, alle bei 40 Grad tanzen, Elefanten durch die Wildnis laufen und alle zwei, drei Jahre eine Hungersnot droht, lacht er sich kaputt: „Was für ein Blödsinn.“ Ja, großartiger Blödsinn.

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