Interview mit Staffan Valdemar Holm "Es ist schwer, in Düsseldorf durchzudringen"

Düsseldorf · Nach seinem Rücktritt als Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses spricht Staffan Holm über sein Burnout, die Therapie, die Zukunft.

 Staffan Valdemar Holm nach einer Probe zu „Peer Gynt“ in einem Café in Düsseldorf.

Staffan Valdemar Holm nach einer Probe zu „Peer Gynt“ in einem Café in Düsseldorf.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Wie geht es Ihnen?

Holm Viel besser, ich kann sogar sagen: gut. Was ich bis zu meinem Rücktritt erlebt habe, war wirklich wie ein Alptraum. Ich bin mit letzter Kraft nach Lappland gefahren, ganz hoch in den Norden an den Polarkreis. Dort habe ich Ruhe gefunden, Vitaminspritzen bekommen, mit Ärzten gesprochen. Dann war ich noch an der Ostsee, um mich weiter aufzubauen. Das alles hat gewirkt.

Es kann auch schwer sein, mit sehr viel Ruhe umzugehen.

Holm Natürlich. Ich musste mein Handy abgeben, mein Laptop, absolute Ruhe. Das macht einen zunächst wahnsinnig. Aber dann kommt man an einen Punkt der Leere, der gut ist. Als Künstler betrachtet man das alles immer auch ein wenig von außen, man beobachtet sich selbst. Wir, die wir mit Theater arbeiten, müssen unsere eigenen Schwächen und Krankheiten akzeptieren. Ich möchte aus all dem wenigstens Erkenntnis gewinnen.

Haben Sie Ihre Lebensweise verändert nach der Therapie in Schweden?

Holm Ich verhalte mich sehr ruhig. Ich rauche, aber ich trinke keinen Alkohol. Das habe ich mir selbst verordnet, damit ich genau fühle, wie es mir geht. Nach den Abendproben gehe ich nachhause, da liegt ein Berg DVDs mit dänischen TV-Serien wie "Kommissarin Lund" oder "Borgen" (in denen übrigens Olaf Johannessen mitspielt) — das entspannt.

Sie inszenieren jetzt Peer Gynt am Schauspielhaus, werden Ihre Erfahrungen in die Inszenierung einfließen? Holm Ja. Peer Gynt handelt davon, wie es mit einem weitergeht, wenn man in der Mitte seines Lebens angekommen ist. Ich habe die Mitte schon hinter mir, aber die Frage finde ich interessant.

Werden Sie danach weitere Stücke in Düsseldorf inszenieren?

Holm Ja. Drei Produktionen waren geplant, nach Peer Gynt noch eine im Herbst und die nächste im Frühjahr 2014. Ich würde diese Arbeiten gerne machen, denn ich finde das Ensemble hervorragend, ich arbeite gern mit den Schauspielern zusammen.

War es schwer, nach Ihrem plötzlichen Abtritt dem Ensemble wieder zu begegnen?

Holm Nein, gar nicht. Ich bin ja ganz offen und ehrlich mit allem umgegangen. Ich habe ja eine Erkrankung. Die Diagnose hatte ich schon im September bekommen, aber ich habe versucht, meine Arbeit weiter zu tun. Dann sind mir aber Dinge geschehen, die mir Angst gemacht haben. Nach einem Sitzungswochenende in Paris etwa bin ich zu einer Probe von "Der Prozess" gegangen, aber ich war so erschöpft, dass ich danach 15 Stunden in meinem Büro auf einer Couch lag und nicht aufstehen konnte. Ich habe versucht, Pausen einzulegen und so gegen die Symptome anzukommen, aber es war zu viel geschehen — nicht nur bei der Arbeit, auch privat.

Sie sind viel zwischen Deutschland und Schweden hin und hergereist.

Holm Ja, meine Eltern sind schwer erkrankt, mein Vater hatte diese schreckliche Muskelerkrankung ALS, meine Mutter kam auf die Intensivstation. Im Sommer, als ich mich erholen wollte, habe ich mir in der ersten Ferienwoche den Arm gebrochen, habe vor Schmerzen nicht schlafen können. Dann ist mein Vater gestorben, ich habe seine Beerdigung arrangiert. Obwohl er vollkommen unmusikalisch war und meine Mutter taub, wollte ich nicht, dass dort eine kleine Dorforgel traktiert wird, also habe ich mich um einen sehr guten Sänger gekümmert, das war fast manisch. Ich bin an einen Punkt gekommen, an dem es nicht weiterging. Ich hatte keinen Antrieb mehr, das ist etwas anderes als Müdigkeit.

Wieso haben Sie an diesem Punkt nicht nur eine Auszeit genommen, sondern die Intendanz niedergelegt?

Holm Man kann nach einer solchen Erschöpfung nicht einfach in seine alte Aufgabe zurückkehren. Jedesmal, wenn ich ins Theater gekommen wäre, hätten sich doch alle gefragt: Na, wie sieht er aus, wie geht es ihm heute? Man braucht als Intendant Marathonmuskeln, muss mit langer Perspektive arbeiten. Das hätte ich nicht mehr gekonnt. Ich habe die Kräfte nicht mehr dazu.

Sind Sie froh, das Intendantenamt los zu sein?

Holm Ja, so ging es nicht weiter.

Ist die Aufgabe in Düsseldorf besonders hart?

Holm Nein. Die Ursachen für meine Erschöpfung sind ein Komplex. Privates und Berufliches kam zusammen, das war unglücklich.

Ist es schwer für Sie, jetzt am Intendantenbüro vorbei zu gehen und "nur" Regisseur zu sein?

Holm Nein. Es war für mich nie schwer, Regisseur zu sein. Das ist mein Beruf. Bei dieser Arbeit bin ich fast immer froh. Ich sage, was ich zu einem Stück denke und bekomme unmittelbare Reaktionen von den Schauspielern, das ist etwas anderes als Intendant zu sein.

Machen Sie sich Gedanken darüber, wie es am Schauspielhaus weitergehen wird?

Holm Ja, aber ich rede nicht darüber. Jetzt müssen der neue Chef Manfred Weber und seine Mitarbeiter Platz für ihre Arbeit haben. Darum war ich auch nicht bei der Premiere von Nora Schlocker. Es soll am Theater kein schwedisches Gespenst umgehen.

Machen Sie sich Vorwürfe, weil das Theater nun in einer Krise steckt?

Holm Natürlich ist die Situation am Haus nun ein wenig wackelig. So muss das aber auch sein, alle müssen sich jetzt neu orientieren. Ich habe mich entschlossen, nicht zu viel über meine eigene Schuld zu grübeln. Das ist destruktiv für mich. Ich habe eine Krankheit, Burnout ist moralisch nicht anders zu bewerten als eine andere Krankheit.

Sie meinen, dass ich Sie das nach einem Herzinfarkt nicht gefragt hätte?

Holm Ja, auch nach einem Burnout braucht man Behandlung, das muss man den Betroffenen zugestehen. Ich bin ja mit der Regisseurin Andrea Breth befreundet. Ich habe mit ihr über meine Lage gesprochen, sie hat mich in meiner Haltung bestärkt, und ich vertraue ihr. Künstler sind nicht die leichtesten Fälle für Psychiater. (lacht) Geben Sie den Kulturpolitikern in Stadt und Land eine Mitschuld an dem, was geschehen ist.

Hat man es Ihnen zu schwer gemacht?

Holm Nein, ich musste gegen die Etatkürzungen kämpfen, die man mir zugemutet hat. Für Düsseldorf musste ich das tun und auch für andere Städte, denn die Tendenz, an der Kultur zu sparen besteht überall, und die Auseinandersetzungen gewinnen an Schärfe.

Vor welchen Fehlern würden Sie einen Nachfolger warnen?

Holm Es ist schwierig in Düsseldorf durchzudringen, mit der Stadt zu kommunizieren. Das hat lange Tradition und viele Gründe. Man hat hier ein älteres Publikum, das sehr treu ist, dem das Theater wichtig ist. Aber dieses Publikum muss man weiterentwickeln. Leider ist Düsseldorf keine wirkliche Universitätsstadt, mit einer echten Studentenszene. Als wir angefangen haben, haben wir überlegt: Wo treffen wir junges Publikum? — Beim Shoppen hat man uns gesagt. Also muss man dahin gehen, in die Malls, dort für das Theater werben. Vielleicht hätten wir das noch stärker tun müssen, aber das ist auch eine Frage der Kapazitäten. Die Marketingabteilungen an deutsche Theatern sind im europäischen Vergleich wirklich klein.

Man hat Ihnen auch vorgeworfen, Sie hätten sich zu wenig auf dem gesellschaftlichen Parkett der Stadt sehen lassen.

Holm Dafür hat mir schlicht die Zeit gefehlt. Ich habe vier Inszenierungen übernommen in meinem ersten Jahr. Aber in der Tat, Smalltalk beim Glas Sekt ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung.

Aber er ist Teil der Aufgabe eines Intendanten?

Holm Ja, vielleicht, nicht überall. Natürlich muss ein Theater verankert sein im Bewusstsein der Leute. Aber wenn man als Intendant und als Künstler arbeitet, muss man seine Zeit für gesellschaftliche Verpflichtungen wohl dosieren. Das heißt, man muss wissen, welche Anlässe zwingend sind. In Schweden weiß ich das, in Düsseldorf lag das für mich eher im Nebel.

Sie haben sehr viel Selbstkritisches gesagt, geben Sie auch anderen Schuld? Den Kritikern zum Beispiel?

Holm Nein. Natürlich gab es Enttäuschungen. Manchmal habe ich fast mit dem Holzhammer inszeniert, doch die Kritiker haben es nicht verstanden. Aber so ist das. Unsere erste Spielzeit war keine Katastrophe, wir haben gutes Theater gezeigt, das ist verkannt worden, weil wir nicht zum Theatertreffen eingeladen worden sind. Diese Maßstäbe halte ich für falsch.

Wen wünschen Sie sich als Nachfolger?

Holm (lacht) Ich habe ja schon einen Nachfolger: Manfred Weber. Die weitere Suche werde ich nicht kommentieren, aber Stadt und Land sollten sich Zeit lassen - einen Intendanten für 2014 zu finden, ist schon ehrgeizig.

(rm)
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