Erwin Quedenfeldt Der Heimatschützer mit der Holzkamera

Düsseldorf · In mehr als 300 Aufnahmen hat der Düsseldorfer Erwin Quedenfeldt zwischen 1905 und 1914 den Niederrhein fotografiert. Sie zeigen eine Welt vor Industrialisierung und Bombenkrieg.

Kleve, Meerbusch, Rheinberg: Historische Aufnahmen vom Niederrhein
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Bilder von Erwin Quedenfeldt

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Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf/Erwin Quedenfeldt

Es hätte ein imposantes Bild werden können: Im Hintergrund der Rhein bei Uerdingen, vorne die Schlote der „Chemische Fabriken, vormals Weiler-ter Meer“ – zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der führenden Werke der deutschen Farbstoffindustrie. Als Monument des Fortschritts zu Zeiten Wilhelms II. drängte sich das Panorama einem Fotografen auf. Doch als Erwin Quedenfeldt dann in Uerdingen Station macht, postiert der Düsseldorfer das Stativ seiner Holzgehäuse-Kamera vor einer Kraftmaschine aus dem vorindustriellen Jahrtausend: einer Windmühle.

Die Wahl des damals schon anachronistischen Motivs ist typisch für viele der mehr als 300 Fotos Erwin Quedenfeldts, die der Kölner Greven Verlag jetzt in einem üppigen Bildband herausgebracht hat: fette Weiden und Äcker, Kuhherden an Teichen, Häuserzeilen, Gassen und Plätze aus Städten und Dörfern zwischen Rees und Dormagen. So hat Uropas Welt ausgesehen, bevor Industrialisierung und Bombenkrieg sie veränderten und zerstörten.

Vom Luftkrieg ahnte Quedenfeldt nichts, als er mit seiner Kamera zwischen 1905 und 1914 den Niederrhein durchstreifte. Gegruselt hat es ihn dennoch oft. „Die Industrie war für ihn das Böse“, sagt Helge Drafz, „vermutlich hat er daher in Viersen, wo es schon viele Fabriken gab, auch nur ein einziges Foto gemacht.“ Drafz, aus Krefeld stammender Historiker, gehört zu dem Autoren-Trio, das die Bilder des Bandes zusammengestellt und mit Texten versehen hat.

Quedenfeldts Unbehagen an der Moderne war keine Allergie allein gegen Fabrikschlote. Der Zeitgeist hatte mehr hässliche Gesichter, er erschien als ein Geist der Auflösung. „Nirgends zeigt sich die Zersplitterung und die ganze Zerfahrenheit unserer Kultur so unbarmherzig als auf den Straßen der Großstadt“, wetterte Quedenfeldt 1909.

Dem setzte er seine Kamera entgegen. Hingebungsvoll richtete er sie auf alte Stadttore, Backstein-Wohnhäuser und reich ornamentierte Haustüren – eine Architektur, die Quedenfeldt durch neue, „charakterlose Bauten“ bedroht sah. Die urtümlichere Welt in Bildern zu bewahren, war für ihn „Heimatschutz“. Wo immer möglich, verbannte er Modernes aus seinen Bildern.

Auf vielen Fotos Quedenfeldts sind keine Menschen zu sehen. Das habe wohl auch mit den damals noch quälend langen Belichtungszeiten zu tun, vermutet Drafz. Wenn Quedenfeldt Menschen zeigt, ist von moderner Alltags-Hektik nichts zu sehen. Das Personal der niederrheinischen Kleinstadt bewegt sich gemächlich auf wenig belebten Straßen. Mitunter sind Einzelne als Relikte einer untergehenden Epoche porträtiert: ein Pfeife rauchender Bauer in Holzschuhen, eine strickende Frau beim Kühehüten am Strümper Bruch; ein Mann, der neben einem Pferdefuhrwerk über das Kopfsteinpflaster in Kalkar geht – lauter letzte Mohikaner.

Angesichts der Biographie des Fotografen erstaunt seine kulturpessimistische Perspektive zunächst. Quedenfeldt war Naturwissenschaftler, Doktor der Chemie, promoviert mit einer Arbeit „Über symmetrisches Dibenzylhydrazin“. 1869 geboren, in Duisburg aufgewachsen, arbeitete er nach dem Studium als Fotochemiker in den späteren Farbwerken Hoechst. 1901 gründete er in Duisburg eine Fabrik für Fotogeräte und ein Fotolabor. 1903 zog er nach Düsseldorf und eröffnete eine Schule für Fotografen. Alles sehr modern, von Technikfeindlichkeit keine Spur.

Doch denselben Erwin Quedenfeldt trieb es zu Wanderungen in die Provinz. Was er dort fand, hat er einmal so beschrieben: „Unser Herz tut sich auf, und wir fühlen bald den eigentümlichen Zusammenhang aller Erscheinungen, Menschen, Wohnungen, Tiere, Bäume, Pflanzen, Flüsse und den über alles gebreiteten Himmel. Wir nehmen ein in sich geschlossenes und abgerundetes Stück Natur wahr, in dem alles zum Ganzen passt.“

Diese Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit mag wie altmodische Romantik-Duselei klingen. Sie ist jedoch ein sehr moderner Zug: Die Verwandlung der Welt durch Wissenschaft und Technik fand zu Kaisers Zeiten nicht nur begeisterte Bejaher wie den italienischen Futuristen Filippo Tommaso Marinetti. Viele erlebten die Verwandlung vor allem als „Entzauberung“, zählten die Verluste – den Blick rückwärtsgewandt in eine heiler vorgestellte Vergangenheit.

So individuell solche Bilanzen ausfielen, so vielfältig waren die Gegenbewegungen. Besonders gerne gesucht: eine „naturgemäße Lebensweise“. Wie die aussehen sollte, daran schieden sich die Geister freilich. Wandervögel zogen aus grauen Städten hinaus. Gartenstadt-Planer propagierten Siedlungen und gesundes Wohnen in Grüngürteln. Lebensreformer priesen – je nach Gusto – Vegetarismus oder das wallende, aus den Zwängen des Korsetts befreiende Reformkleid.

Quedenfeldt suchte sein „abgerundetes Stück Natur“ in der Heimat. Der Erste Weltkrieg scheint sein Weltbild jedoch ebenso verändert zu haben, wie das Millionen anderer. 1916 hat der Industrieverächter kein Problem mehr damit, die Düsseldorfer Henkel-Werke ausgiebig mit seiner Kamera zu dokumentieren. Er experimentiert bereits mit Druckverfahren, die ihn zu abstrakten Darstellungen von Fotomotiven führen. 1919 gehört er mit dem Maler Otto Pankok zu den Gründern des linksradikalen „Aktivistenbundes“.

Drei Jahre später verlässt Erwin Quedenfeldt dann Düsseldorf. Es beginnt eine Odyssee durch Deutschland, die Niederlande und auch  Österreich, deren Spuren sich in den 1930-er und 40-er Jahren aber immer mehr verlieren. Gestorben ist er 1948 im bayerischen Bischofswiesen. Am Ende war auch er weit mehr ein Kind der Moderne, als seine Bilder vom Niederrhein erahnen lassen.

Helge Drafz, Reinhard Matz, Irmgard Siebert: „Am Niederrhein. Fotografien von Erwin Quedenfeldt vor dem Ersten Weltkrieg“. Greven-Verlag, 296 Seiten, 40 Euro

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