Erste Premiere des Rheinopern-Balletts Ballett als Selbstfindung

Düsseldorf · Neustart unter schwierigen Bedingungen: Demis Volpi beginnt seine Arbeit als neuer Ballettchef der Rheinoper mit drei episodischen Abenden unter dem Motto „First Date“. Erste Höhepunkte bietet seine Compagnie trotzdem bereits.

 Lara Delfino und Nelson López Garlo geben in „Private Light“ ein Liebespaar. Da sie auch privat eines sind, dürfen sie einander nah sein. Ansonsten herrscht das Abstandsgebot.

Lara Delfino und Nelson López Garlo geben in „Private Light“ ein Liebespaar. Da sie auch privat eines sind, dürfen sie einander nah sein. Ansonsten herrscht das Abstandsgebot.

Foto: Bernhard Weis

Ein abendfüllendes Stück hatte der neue Direktor des Balletts am Rhein, Demis Volpi, für seinen Auftakt am vergangenen Wochenende in Düsseldorf geplant. Einen kraftvollen Aufschlag, der nach elf Jahren Martin Schläpfer eine neue Zeit des Tanzes an der Deutschen Oper am Rhein kennzeichnen sollte. Doch dann kam Corona, und alles war anders. In Windeseile musste eine kreative Körpersprache im Spannungsfeld von Distanz und Nähe gefunden werden, das nicht die Kunst hervorgebracht hatte, sondern die Gesundheit verlangte. Vorsicht wurde das Gebot der Stunde.

Für Volpi und das Publikum verband sich diese Zwangslage mit dem Umstand, dass man einander noch fremd war – eine ungünstige Konstellation, aus der jedoch ein kluges Premierenkonzept mit einem soliden Ansatz erwachsen ist: Wir lernen einander kennen. Kein schillerndes Handlungsballett, keine intellektuelle Munition. Stattdessen gab es, auf drei Abende verteilt, Episoden zu sehen, darunter zeitlich kompakte Werke sowie Auszüge aus Arbeiten Volpis und anderer Choreografen, Kleinst-Uraufführungen und Filmbeiträge, in denen die Mitglieder des Balletts am Rhein zu Wort kommen, was selten ist. Das Publikum erlebte, wie sich ein neuer Ballettdirektor an seine Aufgabe herantastet und eine Compagnie – die noch unvollständig ist, weil zwei Tänzer wegen der Pandemie nicht reisen dürfen – sich findet. Spielzeitauftakt als Work in progress.

Allen Premieren-Vorstellungen voran stellt Demis Volpi ein Werk von José Limón, einem Meister des Modern Dance. Dies darf als Statement für die Neuausrichtung verstanden werden, die dem modernen Bewegungsvokabular künftig mehr Raum gewährt. Bereits in dieser Spielzeit, die zunächst bis Dezember geplant ist, sind die zeitgenössischen Choreografen Sharon Eyal und Juanjo Arqués jeweils mit Uraufführungen vertreten.

Mit Limóns „Chaconne“ nach Bachs Chaconne d-Moll für Solo-Violine hat sich Volpi für ein kraftvolles Stück entschieden. Selbstbewusst loten die Tänzer den Dialog mit der sakral-meditativen Komposition aus. Während sie sich soeben noch erdenschwer an diese binden, schrauben sie sich im nächsten Moment gen Himmel, als wüssten die Sterne, wie es für sie weitergeht. Die fünf Künstler gehörten bereits der preisgekrönten Compagnie unter Martin Schläpfer an. Man könnte es als pädagogische Finesse Volpis deuten, dass gerade sie den Start des neu firmierten Balletts am Rhein einläuten und eine Musik vertanzen, die sich von konzentrierter Traurigkeit in mitreißende Dynamik wandelt. Die Solo-Violine spielt Egor Grechishnikov, Konzertmeister der Düsseldorfer Symphoniker, der das Geschehen vom Bühnenrand wunderbar befeuert.

Tänzer begegnen einander, wenden sich ab, werden Liebespaare wie in „Private Light“, das Volpi 2011, 25-jährig, für das American Ballett Theatre (ABT) in New York choreographiert hat. Am ABT traf er Simone Messmer, die er nun nach Düsseldorf gelotst hat. Ihr schenkt er das einzige Solo der drei Premierenabende: „Allure“ zur Musik von Nina Simone. Ein hochsinnliches Stück mit einer Protagonistin, die ihre Energie kaum zu zügeln vermag. Selbstvergessen erkundet sie ihr körperliches Vermögen, das sich schließlich Bahn bricht; Kunstfertigkeit und Lust sind hier eins. Es scheint, als habe die Compagnie mit Messmer bereits ihren ersten Star.

Volpi hat reife Virtuosen verpflichtet, aber auch viele sehr junge Tänzer. Etwa Evan L’Hirondelle, dessen enormes Talent in der Uraufführung „Whatever happend to class“ sichtbar wird. Das Gemeinschaftswerk von Demis Volpi und dessen Lehrer Mario Galizzi ist eine Leistungsschau dessen, was zur Grundausstattung eines Balletttänzers gehört– inhaltlich simpel gestrickt, jedoch exzellent ausgeführt von den fünf Tänzern.

Dies kehrt sich in „de la Mancha“, einer weiteren Uraufführung Volpis, ins Gegenteil. Der Ballettdirektor hält dem Publikum charmant den Spiegel vor. Er täuscht eine choreografische Zäsur vor, während wiederholt Beifall vom Band aufbrandet – und schon applaudiert auch der Saal. Die drei Tänzer vermögen den Schabernack indes nicht zu befördern, die Darbietung gerät disharmonisch. Die Bildung der Compagnie steht am Anfang, ihre Mitglieder sind noch Suchende. Nun obliegt es Volpi und seinem Team, körperliches Potenzial und Auffassungskraft derart zu vereinen, dass hohe Kunst daraus werden kann.

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