Serie Protest Heute Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfen

Düsseldorf · Der Autor und Architektur-Professor schreibt in seinem Gastbeitrag über das Protestpotenzial von Design. Mit seinem Text endet unsere Serie. Zu den weiteren Teilen kommen Sie am Ende dieser Seite.

 Friedrich von Borries (42) lehrt an der Hamburger Hochschule für bildende Künste.

Friedrich von Borries (42) lehrt an der Hamburger Hochschule für bildende Künste.

Foto: F. von Borries

Beim Begriff "Design" denken viele Menschen an die Aufhübschung von Konsumprodukten - also das Gegenteil von Protest. Dieser Auffassung nach ist Design eine Dienstleistung, die etwas, das es schon gibt, schöner und funktionaler macht. Diese Funktion kann Design auch innerhalb von Protestbewegungen haben, in dem es die Werkzeuge der Protestierenden besser gestaltet: Plakate, Aufkleber und Anstecker oder auch Barrikaden. Einer der berühmtesten Architekten des 19. Jahrhunderts, Gottfried Semper (nach dem die von ihm erbaute Semper-Oper in Dresden benannt ist), brachte während der Revolution von 1849 sein architektonisches Können in den Barrikadenbau ein und musste deshalb aus Deutschland fliehen.

Das Protestpotenzial von Design auf die praktische Anwendung des Barrikadenbaus zu reduzieren, greift aber zu kurz. Das politische Potenzial, der Protest gegen bestehende Bedingungen, setzt im Design wesentlich früher an. Denn Design ist nicht das Gestalten ästhetischer Oberflächen, sondern ist das zur Verfügungstellen von Technologien in sinnvollen Anwendungsmöglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel ein Smartphone: Nicht nur die glatte Oberfläche und das elegante Gehäuse ist Design, sondern auch die Idee, eine Kamera, einen MP3/MP4-Player, einen Touchscreen und ein Mobiltelefon in einem Gerät zu kombinieren. Ihre Tätigkeit nennen Designer "entwerfen". Sie fertigen "Entwürfe" an. Und was dieses "Entwerfen" ist, kann man in der deutschen Sprache am besten über das Gegenteil beschreiben. Denn "Entwerfen" ist das Gegenteil von "Unterwerfen". Ein guter Designer - Architekten, Städtebauer, Produktdesigner oder Grafiker - schafft durch die Gestaltung von Räumen, Gegenständen oder Prozessen eine neue Form von Freiheit, neue Lebensmöglichkeiten. Statt zu unterwerfen, befreit er uns von den Zwängen des Bisherigen. Jeder Entwurf ist ein Akt der Befreiung, ist Ausdruck von Protest gegen das Bestehende.

Bei aller Euphorie für Design darf man aber nicht vergessen, dass Design eine janusköpfige Disziplin ist. Denn mit jedem Entwurf, mit jedem neuen Gegenstand, jedem neuen Gebäude, jedem neuen Stadtquartier schafft es auch wieder Bedingungen, die Entfaltungsmöglichkeiten einschränken. Betrachten wir zum Beispiel ein Smartphone. Es gibt uns die Möglichkeit, einfach und unkompliziert mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, es eröffnet uns Zugang zu Informationen, egal wo wir sind. Das ist die positive Seite. Andererseits hat uns das Smartphone in einen Zustand der permanenten Erreichbarkeit versetzt, der wir kaum entrinnen können. Und das Smartphone ist ein Überwachungsinstrument, das speichert, wo wir wann sind und für was wir uns an diesem Ort interessieren. Design ist also immer gleichzeitig befreiend und unterwerfend. Die Janusköpfigkeit von Design reicht aber weiter. Design ist, wie der berühmte Designer und Designtheoretiker Victor Papanek in den 1970er Jahren schrieb, eine gefährliche Angelegenheit. Denn Designer beherrschen, bewusst oder unbewusst, die Kunst der Manipulation. Diese Fähigkeit macht sie für heutige kapitalistische Verwertungsprozesse so wichtig. Das sieht man leider auch in der Politik: Viele Politiker verstehen sich heute als Gestalter - und sind dabei selbst Designprodukte. Sie werden so gestaltet, dass sie sich in den Bedingungen der Aufmerksamkeitsökonomie der Mediengesellschaft möglichst gut "verkaufen". Sie werden selber zum Konsumobjekt.

Eines der manipulativsten Konsumobjekte der Gegenwart ist das iPhone. Es ist nicht nur ein schöner Gegenstand, sondern auch ein Instrument der Ausbeutung. Hinter der schönen Oberfläche verbergen sich handfeste Konflikte, weil mit den in ihm verwendeten Seltenen Erden Bürgerkriege in Afrika finanziert werden. Und obwohl wir das wissen, kaufen wir es immer wieder. Wir lassen uns von Werbung und Design dazu verführen. Dieses verführerische Moment könnten Designer aber auch anders nutzen: Sie könnten es einsetzen, um die Räume und Ausrüstungsgegenstände einer alternativen Zukunft jenseits von Wachstum, Konsum und Ressourcenverschwendung attraktiv, wünschens- und begehrenswert zu machen. Wie das Fairphone. Wie der Name schon sagt, will es fair sein: fair gegenüber der Umwelt, gegenüber den Produzenten und gegenüber den Benutzern. Verschleißteile sind einfach austauschbar, Rohstoffe kommen nicht aus Krisengebieten, Arbeiter werden gerecht bezahlt, und mit den Gewinnen werden Recyclingprojekte umgesetzt. Das Protestpotenzial von Design liegt also nicht in der Kritik, nicht im Aufdecken von Missständen. Das Protestpotenzial von Design entfaltet sich, wenn Designer ihre Fähigkeiten in gesellschaftspolitische Prozesse einbringen. Hier können sie eine besondere Wirksamkeit entfalten, weil Designer - im Idealfall - produktive "Borderliner" sind. Denn sie bewegen sich an den Rändern der Kunst, sie beherrschen die Kunst der Imagination und können Begierden wecken. Gleichzeitig agieren Designer in der Welt der Produktion und Technik, sie arbeiten mit Materialien, vermögen Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Und schließlich sind Designer Realisten, sie sind vertraut mit der Welt der Ökonomie und scheuen nicht den Streit um Mach- und Finanzierbarkeit.

Der Protest des Designs liegt nicht darin, Werkzeuge für erfolgreicheren Protest zur Verfügung zu stellen. Der Protest des Designs erschöpft sich nicht in der Kritik am Bestehenden. Ein protestierender Designer ist kein Dienstleister, sondern ein Interventionist. Er hübscht keine Oberflächen auf, sondern greift gestaltend in politische Prozesse ein, in dem er alternative Zukünfte entwirft und begehrenswert macht.

Hier kommen Sie zu den weiteren Teilen der Serie:

(RP)
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