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Berlin Enttäuschender Auftakt der Berlinale

Berlin · Der chinesische Meisterregisseur Wong Kar Wai eröffnete die Filmfestspiele mit "The Grandmaster".

Der erste Berlinale-Tag ist stets der aufregendste, in diesem Jahr zumal. Damit sind nicht die ruhelosen italienischen TV-Journalistinnen gemeint, die verzweifelt nach George Clooney suchen. Der Hollywood-Star wird zwar nicht am Potsdamer Platz erwartet, aber er dreht einen Film in der Hauptstadt. Täglich drucken die Revolverblätter grobkörnige Handy-Fotos von Clooney. Darauf ist er beim Essen in Lokalen zu sehen, in die sich Hochprominenz sonst eher nicht verirrt – das koreanische Restaurant Kimchi Princess an der Skalitzer Straße etwa. Nein, man echauffiert sich derzeit wegen anderer Dinge, es geht um mehr, nämlich ums Ganze: Selten wurde so heftig über die Qualität des Festivals diskutiert wie vor Beginn des Eröffnungsfilms 2013.

Die einen reden von Niedergang, und sie führen an, dass Berlinale-Chef Dieter Kosslick es nicht gelingt, Weltpremieren nach Berlin zu holen. Venedig und Cannes hingegen, die anderen großen Festivals, zeigten ausschließlich Produktionen, die bis dahin niemand kenne außer Regisseur und Produzent. Kosslick biete zwar Neues von Giganten wie Steven Soderbergh, Gus Van Sant und Richard Linklater, aber diese Filme seien entweder in den USA schon im Kino zu erleben oder bereits auf dem amerikanischen Sundance-Festival präsentiert worden. Die Berlinale-Euphoriker halten dagegen und sagen, dass es bei diesem Festival noch nie um solche neureichen Statusfragen gegangen sei. Hier zähle allein der Inhalt, die Berlinale sei keine Lobby für Stars, sondern für das Publikum, ein Fest fürs Volk, gerade das hebe es ab von den elitären Konkurrenten. Kurzum: Das Programm als Ganzes stehe im Mittelpunkt, und das lese sich engagiert und vielversprechend wie lange nicht mehr.

Aufschluss sollte nun "The Grandmaster" von Wong Kar Wai geben. Der chinesische Regisseur sitzt in diesem Jahr der Jury vor, die die Bären vergibt, seine aktuelle Arbeit läuft daher außer Konkurrenz im Wettbewerb. Die Geschichte spielt im Hongkong der 30er Jahre, es geht um Kung Fu, genauer: um Ip Man, den Lehrer Bruce Lees.

Wer frühere Werke von Wong Kar Wai kennt, "In The Mood For Love" etwa, "2046" oder "My Blueberry Nights", wird erahnen können, wie die neue Produktion aussieht: schön, stellenweise geradezu schmerzhaft schön. Tony Leung spielt die Hauptrolle, er ist so etwas wie der Brad Pitt Asiens, an seiner Seite hat er Zhang Ziyi, die man durchaus als Angelina Jolie ihrer Heimat bezeichnen darf. Wong Kar Wai arbeitet mit extremen Nahaufnahmen, das Tempo ist ruhig. Kampfszenen zeigt der 54-Jährige bevorzugt in Zeitlupe, er inszeniert sie wie ein Ballett. Die Leinwand strotzt vor Farbe, dunkle, schwere Töne herrschen vor. Genau genommen ist "The Grandmaster" ein Gemälde, das man zwei Stunden lang betrachtet.

Ästhetisch beeindruckt diese Vorstellung zunächst, aber die enormen Schauwerte können doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wong Kar Wai die Geschichte, die er erzählt, stiefmütterlich behandelt. Man nimmt nichts mit aus diesem Film, der sich darauf beschränkt, von bloßen Händen zerschlagenes Glas beim Splittern zu beobachten, er ist hohl, reine Oberfläche – attraktiv, aber dumm. Das ist ein nervöser Ritt durch die chinesische Historie, ein bisschen Liebe, etwas Rache und zu wenig Herz. Es gibt wilde Zeitsprünge, alles ist arg weit weg, das Leben liegt verschüttet unter Details, und die Figuren müssen ständig Sätze aus dem Poesiealbum der Kampfkünstler aufsagen. Sie stehen dabei entweder im Regen oder im Schnee. "The Grandmaster" wirkt unfertig, ein Film aus Schlaglichtern, man weiß nicht genau, aus welchem Antrieb Wong Kar Wai den Film gemacht hat. Und dass im Kampf vertikal besser ist als horizontal, weil horizontal immer bedeutet, dass man zu Boden gegangen ist, mag einem als Lehre aus einem Tag Berlinale nun wirklich nicht genügen.

So bleibt der Streit zwischen Pessimisten und Enthusiasten unentschieden. Die Berlinale sieht am ersten Tag gut aus, aber sie hat noch keine Botschaft.

(RP)
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