Berlin Entscheidung bei der Berlinale

Berlin · Ein Flüchtlingsdrama aus Finnland könnte einen mäßigen Wettbewerb gewinnen. Die deutschen Beiträge wurden wohlwollend aufgenommen, haben aber geringe Chancen. Morgen fällt die Entscheidung.

Eine Frau mit Lockenwicklern, ein Küchentisch, ein Glas Wodka. Ein Mann, der seinen Ehering auf den Tisch legt, wortlos geht. Dann die Frau, wie sie den Ring in den Aschenbecher wirft, ihre Zigarette darauf ausdrückt - mehr braucht der finnische Regisseur Aki Kaurismäki nicht, um vom Ende einer Ehe zu erzählen und dem Elend das davor war. Vielleicht hat sein Film über einen Flüchtling, der in Helsinki strandet, darum die Berlinale so beeindruckt. Kaurismäki erzählt so simpel, dass es komisch wird, und so präzise, dass es schmerzt. Wenn so einer einem Flüchtling folgt, der sich vergeblich müht, im Norden Europas Fuß zu fassen und ihn mit diesen wehmütig-stolzen Verlierertypen umgibt, die auch auf der Flucht sind vor den Verhältnissen, dann hat das Wucht. Kaurismäki reduziert die Flüchtlingsdebatte auf ihren harten Kern: auf die Frage, ob Menschen in Sicherheit einem, der um Schutz bittet, helfen. Oder nicht. So hat Kaurismäki mit "Auf der anderen Seite der Hoffnung" Chancen auf einen Bären. Allerdings liegt das auch daran, dass er wenig Konkurrenz fürchten muss.

In einer politisch aufgeladenen Zeit hätte dies eine starke Berlinale werden können. Und viele Stars nutzten das Festival durchaus, um gegen Populismus im Allgemeinen und den amerikanischen Präsidenten im Besonderen Stellung zu beziehen. Doch Filme, die Haltung beweisen wollen, sind nicht unbedingt gut. Und so gab es das quälend langsame Drama zur Wirtschaftskrise aus Portugal, eine schrullige Tierrechtskämpferin aus Polen, beschleunigten Familienzerfall aus England und den USA. Es gab den Regiedebütanten Josef Hader, Schauspieler und Kabarettist aus Österreich, der genüsslich die soziale Höllenfahrt eines entlassenen Musikkritikers zelebriert. Und das war zum Teil böse, bitter und vergnüglich. Doch es gab eben nicht den einen großen Film, der Haltung in Kunst verwandelt und den Zuschauer überwältigt mit den Mitteln, die nur das Kino besitzt.

Aber es geht ja auch nüchterner. Zumindest meint das Thomas Arslan, der in "Helle Nächte" einen Vater mit Teenager-Sohn in Norwegen auf die Piste schickt. Die beiden kennen einander kaum und sind eher verschlossene Typen. Das war beim orthodoxen Vertreter der Berliner Schule zu erwarten, doch stockt Arslan die selbstverordnete Sprödigkeit des Erzählens diesmal zur Langeweile. Schlimmer noch, zu Langeweile, die vorgibt, bedeutungsschwer zu sein. Das liegt nicht so sehr an den endlosen Autofahrten durch karge Landschaft, sondern an der Erwartbarkeit der Geschichte. Vater und Sohn schweigen, streiten, die Versöhnung bleibt brüchig. Man wusste es von der ersten Sekunde.

Da ist schon überraschender, auf wie viel Humor Andres Veiel bei Joseph Beuys gestoßen ist. In seiner fein komponierten Collage von Archivaufnahmen, Fotos und wenigen Interviews holt er in "Beuys" einen Menschen ins Bewusstsein zurück, der die Kunst aus dem Museum trieb, jeden Einzelnen ermächtigte, gesellschaftlich wirksam zu werden, und dafür mit Leben und Werk einstand. Allerdings ist Veiel so vernarrt in seinen Beuys, dass er ihn nicht einordnet, nicht mit Kritikern konfrontiert. Dabei war für Beuys doch nichts so belebend wie Widerspruch.

Volker Schlöndorff dagegen liefert sich aus. In "Rückkehr nach Montauk" nutzt er eine Erzählung seines verstorbenen Freundes Max Frisch, um darin die Erinnerungen an eigene Liebeswirren in New York zu spiegeln. Schon Frisch verwischte gekonnt die Grenzen von Fiktion und Biografie, gab dem Schriftsteller, der zur Lesereise in die USA reist und einer früheren Geliebten wiederbegegnet, den eigenen Namen. Schlöndorff war mit der Regisseurin Margarethe von Trotta verheiratet, als er bei Dreharbeiten in den USA einer jüngeren Frau verfiel, und erzählte in Berlin freimütig, dass er in seinem Leben viel bereue und diese Erfahrungen in das Drehbuch hineingeschrieben habe. Doppelt raffinierte biografische Spielereien also, doch ergibt das noch keinen raffinierten Film. Schlöndorff gelingt es zwar, eine leidenschaftliche, verletzliche Nina Hoss zu zeigen und hat mit Stellan Skarsgard den idealen Darsteller für einen Mann, der seine Fehler bereut und sie immer weiter begeht. Doch erstarrt Schlöndorffs New-York-Darstellung in Gediegenheit und so wirkt auch seine Geschichte, die doch voller Wirklichkeit stecken soll, erdacht. Melancholische Männer, die über die Vergangenheit räsonieren, taugen vielleicht doch eher für ein Buch - zum schweren Rotwein.

Vielleicht ist es also am Ende Félicité, diese stolze Bar-Sängerin aus dem Kongo, die in Erinnerung bleibt, wie sie durch ihr Slum läuft, sich erniedrigt, um das Geld für die Operation ihres Sohnes zusammenzubekommen und nicht eine Sekunde ihre Würde verliert. Zumindest einen Darstellerbären hätte das verdient. Oder Transgender-Frau Marina, die im chilenischen Film "Eine fantastische Frau" mit ähnlicher Dringlichkeit auf ihr Recht zu lieben und zu trauern beharrt.

Vielleicht hat sich die Jury unter Vorsitz des Regisseurs Paul Verhoeven aber sogar vom zarten, ungarischen Beitrag "On Body and Soul" anrühren lassen. Da kann man in traumhaft schönen Sequenzen beobachten, wie Hirsche im verschneiten Wald einander Wärme geben. Und ausgerechnet in einem Schlachthof passiert zwei Menschen dasselbe. Eine solche Entscheidung sähe Verhoeven zwar nicht ähnlich, der seine eigenen Filme voller Drastik an die Schmerzgrenze treibt und darüber hinaus. Und dafür bald einen Oscar bekommen könnte. Doch wäre ein Goldener Bär für die Ungarin Enyedi eine bestechende Wahl. Ihr Film erzählt keine politische Geschichte. Aber er beschwört die Möglichkeit, dass Menschen Zutrauen zueinander finden. Und zeigt, dass Sanftmut eine innere Stärke besitzt. Diesen leisen, unsentimental erzählten Film auszuzeichnen, wäre tatsächlich eine radikale Entscheidung.

(dok)
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