Berlin Elfriede Jelineks Theater-Kitsch

Berlin · "Die Schutzbefohlenen" verärgern zum Auftakt des Berliner Theatertreffens das Publikum.

In Berlin tobt gerade ein Kampf ums öffentlich alimentierte Theater. Wie so oft angefacht vom Bühnen-Berserker und (Noch-) Intendanten des Berliner Ensembles, Claus Peymann. Als ruchbar wurde, dass der Kultur-Impresario und Tate-Modern-Chef Chris Dercon an der Volksbühne Nachfolger von Frank Castorf werden soll, warnte Peymann vor einer "Zerstörung" des traditionellen Ensemble-, Literatur- und Repertoiretheaters, nannte Kulturstaatssekretär Tim Renner einen "Lebenszwerg" und "größte Fehlbesetzung" der letzten Jahre. Noch eine "Event-Bude", stöhnte der streitbare Theater-Altmeister. Gut gebrüllt, Löwe.

Dabei ist doch die Schlacht um zeitgenössisches Theater längst geschlagen, die Zukunft verplant. Wo könnte man das besser ablesen als beim alljährlichen Berliner Theatertreffen, bei dem eine Kritiker-Jury die vermeintlich zehn "bemerkenswertesten" Aufführungen benennt? Nach Sichtung von 379 Inszenierungen in 54 deutschsprachigen Städten zeigt die diesjährige Auswahl: Klassische Bühnentexte und arrivierte Regisseure haben bis auf wenige Ausnahmen ausgedient. Stattdessen: immer mehr Uraufführungen, Film- und Roman-Adaptionen, immer mehr Kooperationen verschiedener Bühnen, immer mehr aktuell-politische Themen sowie (eigentlich unspielbare) Text-Gebirge wie die von Elfriede Jelinek.

Nicolas Stemanns Inszenierung von Jelineks "Die Schutzbefohlenen" ist so ein Fall: Uraufgeführt beim Theater-der-Welt-Festival in Mannheim landet es über Stationen in den Niederlanden und am Hamburger Thalia Theater nun beim Berliner Theatertreffen. Auf der Folie der "Schutzflehenden" von Aischylos verquirlt Jelinek in ihrer Text-Collage Politik und Kunst, lässt Schauspieler Wut-Kaskaden absondern und reale Flüchtlinge als Chor agieren. Statt von deren demütigender Situation zu berichten und sie als todesbedrohte Individuen kenntlich werden zu lassen, lässt Jelinek sie mühsam Text-Quark breittreten. Nicht wenige Berliner Zuschauer meinten, die Eröffnungs-Inszenierung sei eine kitschige und menschenverachtende Zumutung.

Eine Theater-Austreibung dagegen ist die von den Münchner Kammerspielen nach Berlin transferierte Bühnen-Version des Fassbinder-Films "Warum läuft Herr R. Amok?". Regisseurin Susanne Kennedy sperrt ihre Schauspieler in einen zwischen Sauna und Partykeller angesiedelten Holzkäfig. Die zu Statuen erstarrten Akteure dürfen die hinter Silikon-Masken verborgenen Gesichter noch nicht einmal selber beleben. Der vom alltäglichen Stumpfsinn handelnde Text kommt aus dem Off, gesprochen von Theater-Laien: ein sadistisches Menschen-Experiment mit Schauspielern, die zu Zombies mutieren.

Die ersten Zuschauer dieser zweistündigen Theater-Verweigerung verließen nach 15 Minuten den Saal. Susanne Kennedy ist übrigens von Chris Dercon ins Kreativ-Team der künftigen Volksbühne berufen worden. Beim Theatertreffen-Publikum ist sie schon jetzt durchgefallen. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht - mit dem Theatertreffen, der Volksbühne und dem zeitgenössischen Bühnen-Zirkus.

Berliner Theatertreffen bis zum 17. Mai; Informationen unter: www.berlinerfestspiele.de

(RP)
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