Erinnerung an Mauerfall Einheitsdenkmal: Viele Ideen — keine Lösung

Berlin (RP). Gleich vor zwei Trümmergrundstücken sehen sich die Kulturpolitiker der Republik. Aber nur die eingestürzte Kölner Stadtbibliothek steht morgen auf der Tagesordnung des Bundestags-Kulturausschusses. Der andere "Einsturz" wird nur am Rande behandelt. Dabei drängt die Zeit. Bis zum 9. November sollte in Berlins Mitte ein Einheits- und Freiheitsdenkmal an den Mauerfall vor 20 Jahren erinnern, zumindest der Grundstein dafür gelegt sein. Doch die Jury kippte jetzt alle Entwürfe über Bord: 404 an der Zahl am ersten Tag und sämtliche 128 im Rennen verbliebenen einen Tag später. Konfusion bestimmt die Lage.

Die Berliner Mauer teilte die Stadt
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Die Berliner Mauer teilte die Stadt

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Foto: AP

Zeit sollte mitbringen, wer sämtliche Entwürfe studieren will. Noch bis Ende des Monats sind sie im Kronprinzenpalais am Prachtboulevard Unter den Linden ausgestellt. Also einen Steinwurf von dem Ort entfernt, wo deren Verfasser ihre Verwirklichung erhofften — auf dem 80 mal 40 mal einen Meter messenden Sockel des früheren Kaiser-Wilhelm-Denkmals vor dem künftigen Stadtschloss.

Es waren Albernheiten und Provokationen dabei, wie die überdimensionale Banane oder die Schlumpftruppe oder der monumentale Mann mit Einkaufswagen. Aber viele Dutzend Ideen lassen die Phantasie des Betrachters kreisen, etwa die beiden versetzten Halbringe, die optisch immer dichter zusammenrücken, bis sie aus der Blickrichtung des 9. November 1989 scheinbar verschmelzen — die Einheit, die erst noch werden muss, die Freiheit, die immer neu zu schaffen ist.

Oder die 16 Säulen, die wie die 16 Bundesländer beziehungslos nebeneinanderzustehen und seltsame Löcher zu enthalten scheinen und dann plötzlich aus einer besonderen Perspektive in ihrem Innern die Sätze "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" entstehen lassen. Entwürfe wie diese bringen den Ausstellungsbesucher ins Grübeln, ob wirklich alle 532 Vorschläge bloß "Schrott" gewesen seien, wie es aus der 21-köpfigen Jury aus Künstlern, Einheitsakteuren und Politikern herausdrang. Ob es wirklich nicht möglich war, wie zunächst geplant eine Auswahl im Dialog weiter reifen zu lassen.

Ideen sind auch aus unserer Region dabei: Felix Thörners Brücken-Gedanke aus Düsseldorf etwa. Oder Joachim Melchers stilisierte Skulptur aus Armen und Händen aus Viersen. Oder das wogende "steinerne Meer" von Heinke Haberland und Stefan Sous aus Düsseldorf. Alle drei schafften es nicht einmal in die Gruppe der 128.

Einer aus der Jury verstärkt die Zweifel. 30 Sekunden Zeit habe sich die Jury pro Entwurf genommen, berichtet Schriftsteller Thomas Brussig. Auf diese Weise hätte sie wohl auch Entwürfe von der Güte des Holocaust-Mahnmals oder der Freiheitsstatue abgelehnt. Jury-Mitglied Wolfgang Börnsen verweist auf eine Gruppe von Juroren, die sich mit der Bundestags-Vorgabe nicht habe anfreunden können, zur Entwicklung eines solchen Denkmals der deutschen Demokratie auch alle einzuladen. Sie bekommen nun ihren Willen mit einem Einladungswettbewerb. Mindestens neun der durchgefallenen Entwürfe sollen eine zweite Chance bekommen. Aber bis zum 9. November klappt's wohl nicht mehr. Deutschland bleibt halt die "verspätete Nation".

(RP)
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