Abstimmung am Sonntag Initiative in der Schweiz kämpft für Grundrechte für Affen

Analyse | Basel · Ein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit besitzen bisher nur Menschen. Die Bürgerinnen und Bürger Basels stimmen am Sonntag darüber ab, ob auch Affen Anspruch darauf haben sollen.

 Schimpansen zeichnen sich durch ausgeprägtes Sozialverhalten und bemerkenswerte Intelligenz aus.

Schimpansen zeichnen sich durch ausgeprägtes Sozialverhalten und bemerkenswerte Intelligenz aus.

Foto: dpa/Tobias Deschner

Wie soll der Mensch mit Tieren umgehen? Haben Tiere Würde? In welchem Umfang sollten sie Rechte erhalten? Diese ethischen Fragen finden wachsende Beachtung in einer Öffentlichkeit, die sich intensiver als früher mit ihrer Verantwortung für die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten auseinandersetzt. Immerhin: Seit 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Kritiker wenden allerdings ein, dass es bis heute an der konkreten Ausgestaltung mangelt. Der Deutsche Tierschutzbund etwa mahnt, dass sich an grundlegenden Missständen in der Massentierhaltung, in Forschung, Zoos oder im Zirkus bis heute zu wenig geändert hat. Im Schweizer Kanton Basel-Stadt will eine  Initiative nun Zeichen setzen: Die Bevölkerung kann am Sonntag darüber befinden, ob zumindest die genetisch nächsten Verwandten des Menschen ähnliche Rechte wie diese erhalten sollen: Affen. Und zwar alle.

Es ist die erste Abstimmung dieser Art überhaupt und entfaltet unabhängig von ihrem Ausgang und den möglichen praktischen Auswirkungen schon jetzt beachtliche politische Dynamik. Das Thema wird breit diskutiert. Insofern hat die dahinterstehende Tierrechtsorganisation Sentience Politics bereits ein wichtiges Etappenziel erreicht. Gut 3000 Unterschriften wurden zusammengetragen, damit 110.000 Stimmberechtigte über eine Änderung der Kantonsverfassung entschieden können. Ziel ist die Ergänzung um einen Passus, wonach nicht-menschlichen Primaten das Recht auf Leben sowie körperliche und geistige Unversehrtheit eingeräumt wird.

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Die Argumente der Aktivisten: Menschenaffen werden nicht umsonst so genannt. Sie und ihre Artgenossen lieben und trauern, verfügen über ein Ich-Bewusstsein, benutzen Werkzeuge, haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten und sogar einen Sinn für Humor. Erst kürzlich war zu lesen, dass Wissenschaftler in Osnabrück herausgefunden hatten, dass Schimpansen Wunden mit zerdrückten Insekten behandeln, von denen eine entzündungshemmende Wirkung ausgeht. Andererseits töten sie Ihresgleichen und können Kriege führen.

Wenn aber Affen den Menschen doch so ähnlich sind, so die Linie der Tierschützer, warum sollte man ihnen dann nicht denselben rechtlichen Schutz gewähren? Schluss also mit Versuchen an sämtlichen Primaten und Ende mit dem Einschläfern kranker Artgenossen. Biologen, Veterinärmediziner und Tierpfleger dürften in Zukunft nicht mehr allein über das Wohlergehen der Tiere entscheiden, sondern eine Art Rechtsbeistand.

Dagegen regt sich nicht nur bei Zoologen Widerstand. Kritiker der Initiative, die sich nur auf Affen im Besitz der öffentlichen Hand bezieht, verweisen darauf, dass Basel-Stadt selbst gar keine Affen hält. Hintergrund dieser Einschränkung ist ein Urteil des Bundesgerichts in Lausanne, wonach ein Kanton zwar Grundrechte erlassen darf, die über die Mindeststandards hinausgehen, die in der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskommission verankert sind. Allerdings gelten diese nur in kantonalen Einrichtungen. Der „Zolli“, der traditionsreiche Baseler Zoo, ist hingegen als Aktiengesellschaft privatrechtlich organisiert. Die ansässige Pharmaindustrie führt seit Jahren keine Versuche mit Primaten durch. Dennoch warnen Vertreter von Roche und Novartis vor Hindernissen für neue Versuche im Dienste der Forschung. Viel größer als die Sorge um unmittelbare Auswirkungen eines Votums sind die Befürchtungen im Hinblick auf die Symbolkraft der Initiative.

Auch Wolfgang Dreßen hat in dem Fall erhebliche Bedenken. Der Direktor des Krefelder Zoos weiß nicht erst seit dem Brand im Affenhaus seines Tierparks und der anschließenden Diskussion um ein neues artgerechteres Gehege, wie emotional das Thema Tierhaltung auch hierzulande besetzt ist. Dennoch: „Aus meiner Sicht als Zoologe und Verhaltensforscher ist klar, dass Rechte und Pflichten in den natürlichen Sozialsystemen von Primaten nicht vorkommen – auch nicht bei den so nahverwandten Menschenaffen“, so Dreßen im Gespräch mit unserer Redaktion. „Grundrechte sind von Menschen für die menschliche Gesellschaft gemachte Regularien. Nur weil es eine genetische Nähe und auch Ähnlichkeiten im sozialen wie emotionalen Leben insbesondere von Menschenaffen und Menschen gibt, ist das kein Argument – weder biologisch noch tierethisch – auf Primaten menschliche Grundrechte zu übertragen. Ganz zu schweigen davon, wenn mit den Rechten auch Pflichten für einen Primat verbunden wären, wie es in menschlichen Kulturen üblich ist.“

Obwohl der Mensch nicht vom Affen abstammt, ist die Verwandtschaft zwischen beiden unbestritten. Beide haben einen gemeinsamen Vorfahren, der vor etwa fünf bis sechs Millionen Jahren lebte, aus dem sich später der Mensch und seine vorerst nächsten, wie der Neandertaler inzwischen aber ausgestorbenen Arten, sowie verschiedene Familien von Menschenaffen getrennt weiterentwickelt haben. Zu ihnen zählen Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos. Trotzdem bilden sie und der Mensch heute wissenschaftlich gesehen die Familie der Hominiden. Diese wiederum zählt zur Ordnung der Primaten, welche etwa 400 Affenarten umfasst.

Jüngste Forschungsergebnisse belegen, wie gering der genetische Abstand ausfällt: Tatsächlich macht der Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse gerade einmal 1,5 Prozent aus. Im Erbgut von Menschenfrauen und Menschenmännern kann er dagegen bis zu vier Prozent betragen. Das bedeutet, dass bei manchen menschlichen Paaren der Mann einem Schimpansenmann genetisch ähnlicher sein kann als seiner Frau – und diese einem Schimpansenweibchen genetisch ähnlicher sein kann als ihrem Mann.

Was nichts daran ändert, dass auch 1,5 Prozent einen gewaltigen Unterschied machen können – unter anderem, was das Gehirn betrifft: Das des Menschen ist dreimal so groß wie das des Schimpansen. Menschenaffen können erworbenes Wissen nicht einmal ansatzweise in dem Maße an nachfolgende Generationen weitergeben wie Menschen, sie müssen das Rad gewissermaßen jedes Mal neu erfinden.

Machen garantierte Grundrechte die Existenz von Affen in zoologischen Gärten leichter? Wolfgang Dreßen bleibt skeptisch: „Die wissenschaftlich geleiteten Zoos haben weltweit einen Codex zur Haltung von Wildtieren: Sie haben die Pflicht, ihre Tiere optimal zu pflegen und das Wohlergehen immer an erste Stelle zu setzen. Die Forschungen an Menschenaffen zur Intelligenz, zum Selbstbewusstsein und Abstraktionsvermögen bis hin zu den Ansätzen von Vernunft werden in den kommenden Jahren sicherlich neue Erkenntnisse bringen, die die Haltung weiter optimieren werden. Die Fähigkeit einer moralischen Reflexion von Taten bleibt aber ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen.“ Dessen Wertgefüge  auf Tiere zu übertragen, bleibe ein „vermenschlichender Ansatz bestimmter Tierschützer und sogenannter Tierrechtler, den ich als Naturwissenschaftler strikt ablehne“.

In Paragraf 90 des Bürgerlichen Gesetzbuchs heißt es: „Tiere sind keine Sachen." Juristisch werden sie aber nach wie vor wie Sachen behandelt. Das Verfassungsgericht des Kantons Basel-Stadt, das die Zulässigkeit der Primaten-Initiative überprüfte, schlägt in seinem Urteil neue Töne an: „Mit der Subjektivierung von Tierrechten wird eine grundlegend neue Rechtsentwicklung zur Diskussion gestellt, der eine beträchtliche symbolische Bedeutung mit Impulswirkung zukäme.“

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