Interview: Martin Schulz Eine Charta für digitale Grundrechte

Der EU-Parlamentspräsident hält die Laudatio auf Preisträger Jaron Lanier.

Frankfurt/Main Wie verändert die digitale Welt unser Leben? EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wird darüber in der Paulskirche reden, wenn er die Laudatio auf den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels hält, den 54-jährigen Internet-Guru Jaron Lanier.

Waren Sie heute schon im Internet?

Schulz Wie für alle Politiker spielt auch für mich das Internet eine immense Rolle. Aber ich habe ja das ungeheure Privileg, Mitarbeiter zu haben, die für mich im Netz recherchieren; von ihnen bekomme ich gedruckte Auszüge vorgelegt. Das ist in meinem Beruf fast nicht anders möglich. Ich sehe meine Mitarbeiter immer mit gesenktem Haupt herumlaufen. Die sind weder vor Gram gebeugt, noch verneigen sie sich vor mir. Sie sind nur auf der Suche nach Ladestationen für ihre Computer.

Ist der Friedenspreisträger Jaron Lanier eine Symbolfigur, der Internet-Guru und Internet-Kritiker ist?

Schulz Lanier ist auch deshalb sehr glaubwürdig, weil er ein Mitschöpfer dieser Welt ist und einräumt: Wir haben das Netz geschaffen, um das Leben kreativer, verstehbarer und schöner zu machen. Aber wir haben es nicht geschafft, aus der realen Welt in eine virtuelle Welt zu fliehen und uns dieser virtuellen Welt zu unterwerfen. Das heißt: Es muss uns gelingen, die strukturellen Verbesserungen durch die digitale Welt zu nutzen, ohne uns dabei als Individuen aufzugeben.

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert hat unsere Welt und unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Ahnen wir überhaupt, was uns mit der digitalen Revolution blüht?

Schulz Wir müssen erkennen, dass manche Standards, die wir entwickelt haben und mit denen wir unser friedliches Zusammenleben organisieren, im Netz keine Rolle spielen. Wir müssen aber die individuellen Grundrechte, den gegenseitigen Respekt und die Selbstbestimmung des Menschen bewahren, auch in der digitalen Welt. Deshalb brauchen wir eine Charta digitaler Grundrechte.

Welche Chancen hat man, eine Technologie zu gestalten, die längst unser Leben durchdrungen hat?

Schulz Da hoffe ich zum einen auf die Welt der Kulturschaffenden, der Verlage und Zeitungshäuser, die alle auf den Barrikaden sind, weil sie fürchten, dass das geistige Eigentum und die Urheberschaft zur freien Verfügungsmasse werden. Zum anderen sind da die großen Unternehmen, die sich auch nicht mehr darauf verlassen können, dass ihr geistiges Eigentum und damit ihre Produktentwicklung noch ausreichend datengeschützt sind. Wenn die Digitalisierung auch die Zukunft der industriellen Produktion ist - etwa in der Automobilbranche -, dann kann für ein Unternehmen plötzlich die Frage des Datenschutzes eine Standortentscheidung sein.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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