Düsseldorf Ein Wiedersehen mit Jeanne Moreau

Düsseldorf · Die große französische Schauspielerin ist der Mittelpunkt des Films "Eine Dame in Paris". Die 85-Jährige spielt eine großbürgerliche Zynikerin, die entdeckt, dass sie ein Herz hat. Vergleiche mit "Ziemlich beste Freunde" liegen nahe.

Dieser Film wurde um seine Hauptdarstellerin herum gebaut, und man kann das verstehen, denn sie heißt Jeanne Moreau. Die Moreau ist 85 Jahre alt, die geheimnisvollste und klügste Frau des europäischen Kinos, und "Eine Dame in Paris" wird lieben, wer von "Ziemlich beste Freunde" angetan war. Im Grunde ist das dieselbe Geschichte: Eine unwahrscheinliche Freundschaft verwandelt einen zynischen Menschen in eine liebenswürdige Person.

Jeanne Moreau liegt also in den Kissen auf dem Bett eines Pariser Stadtpalais'; viel Schmuck, keine Gefühle. Sie ist einsam und verbittert, und sie hat eine neue Betreuerin: Anne kommt aus Estland, um die Dame davon abzuhalten, sich allzu stark am Schrank mit den Medikamenten zu bedienen. Der Film lässt sich viel Zeit, er vertraut auf seine Schauspieler. Da ist viel Ruhe, das tut gut, es ist still, es gibt kaum Musik. Die Bilder wirken, als seien sie mit einem weichen Tuch abgewischt worden. Der Zuschauer atmet auf, weil nichts schreit oder ihn anspringt. Der Film liefert den Raum zum Wirken gleich mit.

Anne aus Estland bringt der Dienstherrin also den Tee, es ist die erste Zusammenkunft, und Jeanne Moreau sagt nichts, sie schaut nur, und man fürchtet, dass der dampfende Tee in der Tasse gefriert — da verstehen sich zwei nicht so gut. Das kann die Moreau ja: schauen. Sie brauchte nie viele Worte, man erinnere sich an ihr Gesicht in "Fahrstuhl zum Schafott" von Louis Malle aus dem Jahr 1957, wie sie in härtestem Schwarz-Weiß durch die nassen Straßen irrt. Miles Davis bläst dazu die Trompete, er bläst die Liebe aus dem Film, denn die sucht Jeanne Moreau im Regen, aber sie findet sie nicht, und Verzweiflung und Schmerz haben Falten in ihr Gesicht geschnitten.

Selbst in den frühen Produktionen mit den großen Regisseuren, in "Jules und Jim" von Truffaut oder "Viva Maria" von Malle wirkte sie nicht jung, obwohl sie Mitte 20 war. Sie strahlte Heimatlosigkeit aus, ihre Frauen waren Frauen, die erst im Morgengrauen nach Hause kamen, destabilisierte Frauen, radikale Figuren, unbedingte Existenzen, die zu Männern Sätze wie jenen in dem Film "La Notte" von Michelangelo Antonioni sagen: "Wenn ich den Wunsch habe zu sterben, dann deshalb, weil ich dich nicht mehr liebe." Die Männer wissen meist nichts zu antworten, was ebenbürtig wäre, selbst Marcello Mastroianni merkte man hier an, dass er auf der Hut ist. "Bei ihr denkt man nicht an einen Flirt, sondern gleich an die Liebe", sagte François Truffaut über Jeanne Moreau, er kannte sie gut, und wer die kürzlich veröffentlichten Liebesbriefe las, die sie Peter Handke während ihrer Affäre mit dem 15 Jahre jüngeren Schriftsteller in den frühen 1970er Jahren schrieb, der wird das Urteil nachvollziehen können: "Ich kann es schreiben — du bist die Liebe des Lebens — die Liebe meines Lebens."

Es geht immer ums Ganze bei Jeanne Moreau. "Wenn ich spiele, dann nicht, um einen Schritt in meiner Karriere voranzukommen, sondern um einen Schritt mehr ins Leben zu setzen", sagte sie. Sie war die Muse der Nouvelle Vague, Louis Malle hatte sie auf dem Theater entdeckt, wo sie bereits mit 19 Jahren ein Star war. Sie wurde der Engel von Avantgardisten und Extremisten wie Buñuel, und später arbeitete sie bevorzugt mit den Jungen, mit Wenders und Fassbinder, mit Ozon und nun mit Ilmar Raag.

Der in Frankreich lebende estländische Regisseur besetzte Moreau für die "Dame in Paris", und er ermöglichte es ihr, all das abzurufen, was sie zu einem Mythos gemacht hat. Moreau wirkt unbeteiligt, um die berühmten Lippen liegt etwas Verächtliches, wenn sie spricht. Allmählich erfährt der Zuschauer, dass sie eine Sehnende ist, der Mann ist jünger, sie waren zusammen, es war schön, aber es ist vorbei, und nun tut es weh. Er sieht nach ihr, er ist noch da, er stellte Anne ein, damit die Verlassene gepflegt wird, und auch das ist ja Liebe. Die Moreau begreift bald, sie legt sich die Hand auf die Brust, weil sie merkt, dass da ein Herz schlägt. Man sieht der alten Dame beim Erwachen zu. Die schönste Szene dieses einfachen, starken und sehenswerten Films ist die, in der die beiden Frauen durch die Stadt gehen. Moreau schenkt Anne ihren Burberry-Trenchcoat, sie selbst trägt etwas von Chanel, und sie fragt die neue Freundin: "Wie lange haben Sie schon nicht mehr mit einem Mann geschlafen?" Die antwortet, sie schlafe nicht mit Männern, die sie nicht liebe. Darauf Moreau: "Das müssen wir ändern."

Sie tun das dann tatsächlich, wobei man nicht vergessen darf, dass der Film in Paris spielt, und die Liebe natürlich nicht lange auf sich warten lässt. Das Ende ist ganz wunderbar, die Kamera verharrt auf dem Gesicht einer glücklichen Frau, und man kommt aus dem Kino wie damals nach "Ziemlich beste Freunde", vielleicht nicht ganz so aufgekratzt, aber dafür kribbelt es angenehmer im Kopf. Jedenfalls: Schön, dass es diesen Film gibt.

(RP/gre)
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