Jugendprotest Das zornige Öko-Manifest der Jugend

Berlin · Acht junge Leute der Generationen-Stiftung haben ein provokantes Debattenbuch für die Rettung unserer Zukunft geschrieben.

 Die Autoren aus dem Jugendrat (v.l.): Niklas Hecht, Lucie Hammecke, Franziska Heinisch, Sarah Hadj Ammar, Jonathan Gut und Jakob Nehls.

Die Autoren aus dem Jugendrat (v.l.): Niklas Hecht, Lucie Hammecke, Franziska Heinisch, Sarah Hadj Ammar, Jonathan Gut und Jakob Nehls.

Foto: Marco Pultke

Rotzfrech hätte man den Ton früher wohl genannt. Das war dann die souveräne Abstrafung für den allzu vorlauten Nachwuchs. Wenn heute von „empörend“ und „skandalös“ die Rede ist, dann zeigt das vor allem eins: Der sogenannte Nachwuchs scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben. Die Zurechtweisung fällt nicht mehr ganz so leicht.

Damit ist zunächst das Buch von acht jungen Menschen gemeint, die im Jugendrat der vor sechs Jahren gegründeten Generationen-Stiftung mitmachen. Und die haben die Nase voll vom ökologischen Verhalten der Eltern und Großeltern, von deren Ignoranz gegenüber den aktuellen Problemen.

Vor allem der Generation 60plus gilt der Unmut. „Was wir euch vorwerfen, ist nicht nur euer zerstörerisches Handeln, sondern vielmehr euer zerstörerisches Unterlassen“, heißt es im Vorwort des Buches, das auch im Titel keine Zurückhaltung übt: „Ihr haben keinen Plan, darum machen wir einen“.

Das Buch – das bereits vor seinem Erscheinen Ende November wegen der Nachfrage in die zweite Auflage ging – ist kein Skandalbuch. Eher ein Manifest, noch eher ein Debattenbeitrag. Wobei die provokante Wortwahl „nicht aufgesetzt“ sei, so die Initiatorin und Mitautorin Franziska Heinisch. Der Ton „entspricht einfach unseren Gefühlen und Vorwürfen, die wir in uns tragen. Das entspricht auch unserer Erfahrung, dass mit den netten Bitten, ,hört uns doch mal zu’, bisher sehr wenig erreicht worden ist“, sagt sie uns.

Heinisch ist 20 Jahre alt. Sie studiert Jura in Heidelberg – eigentlich. Zuletzt aber wegen des Buches und all der Lesungen nicht mehr ganz so intensiv. Es gibt Wichtigeres für sie und die Mitautoren und die Leute ihrer Generation. Ein doppeltes Erschrecken ist die Ursache: über die Klimakrise, die für sie längst eine Klimakatastrophe ist; und über das beharrliche Zaudern der Menschen: „Viele sind sich immer noch nicht bewusst, wie drastisch die Lage schon ist.“ Klimaschutz sei eben kein Life-Style-Thema, dem man sich jetzt auch mal anschließen könnte.

Mehr Fahrrad fahren und mehr Plastikmüll sammeln würden zwar auch zur Lösung beitragen. Dennoch müsse man sich nach ihren Worten endlich bewusst werden, dass tiefgreifende, also systemische Veränderungen notwendig seien. „Die Niedlichkeit, mit der aktuell die Debatte geführt wird, zeigt, dass man glaubt, mit ganz kleinen, individuellen Lösungen die große Katastrophe abwenden zu können“, so Franziska Heinisch.

Die zehn „Bedingungen“ des Jugendrates kreisen um den „entfesselten Markt“, den man wieder an die Leine nehmen müsse; natürlich um die Vermeidung des ökologischen Kollapses, um eine Arbeitswelt der Zukunft, um Menschenrechte und die Gestaltung der digitalen Welt. Vieles klingt ein bisschen nach Revolution, und die Klimaaktivisten sehen sich in gewisser weise auch in der Protesttradition der 68er. „Erinnert euch an die Zeit, als ihr selbst auf die Straße gegangen seid“, rufen sie der Babyboomer-Generation zu. Die bekommt vom Jugendrat nicht nur ihr Fett weg, sondern auch eine neue, wenig schmeichelhafte Bezeichnung. Für sie ist es die Generation „not gonna happen“ – es wird schon nichts passieren.

Die Frage bleibt, ob das Engagement der Klimaaktivisten zu einer stabilen Bewegung wird und vielleicht schon eine ist, mit allen Konsequenzen. In gewisser Weise müssten sie sich radikalisieren, meint Heinisch, indem sie bestimmte Dinge nicht zur Verhandlung stellen. Etwa darüber zu sprechen, ob es überhaupt eine Klimakrise gibt. „Nicht verhandelbar ist aber auch die Demokratie. Der Jugend vorzuwerfen, sie wolle eine Öko-Diktatur, ist eine faule Ausrede der aktuell Handelnden.“

Für sie ist Demokratie sehr wohl handlungsfähig, aber nicht mit dem gegenwärtigen Politikstil, also mit dem ewigen Schielen nach Meinungsumfragen. „Demokratie muss einfach schneller werden. Politik ist dann nicht das, was möglich ist, wie es Angela Merkel immer wieder betont, sondern das, was wirklich nötig ist.“ Genau darüber streiten die Experten, mit manchmal zweifelhaftem Erfolg wie zuletzt auf der Weltklimakonferenz in Madrid. Auch darum versuchen es die Autoren so konkret wie möglich zu machen, nämlich mit ihrem „Plan“, der am Ende des Buches 100 einfache Forderungen auflistet. Einige davon finden sich im Infokasten.

Freitagsdemos, Auftritte von Greta Thunberg, Klima-Manifeste – der neue Jugendprotest nährt sich aus verschiedenen Quellen. Und es gibt reichlich Zuspruch auch der attackierten Älteren: Man müsse nicht alle Forderungen der Jugend teilen, schreibt Linke-Politiker Gregor Gysi, „aber es ist mehr als gut, dass sie rebellisch wird. Sie muss uns Alten zeigen, dass es weniger um unsere, sondern um ihre Zukunft geht.“ Ein „kluges“ Buch sei das, meint Bestsellerautor Frank Schätzing: „Während die Erwachsenen noch übers Schuleschwänzen lamentieren, haben die Jungen ihre Hausaufgaben gemacht.“

Der Astrophysiker und TV-Moderator Harald Lesch hat als Kuratoriums-Mitglied der Generationen-Stiftung die Arbeit am Manifest beratend unterstützt. Am Ende zieht er für sich die Bilanz: „Es ist beschämend, dass dieses Buch geschrieben werden musste.“

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